Der Umweg über die „McKenzie Friend“ Regel des englischen Rechts
Theoretisch können sich deutsche Rechtsanwälte auf die EU-Dienstleistungsfreiheit berufen, wenn sie ihre Mandanten in einem Gerichtsverfahren in England & Wales oder Schottland vertreten wollen, zumindest bis das Vereinigte Königreich irgendwann vielleicht dann doch den Brexit umsetzt. Theoretisch. Praktisch gilt: don’t even try. Unsere Kanzlei spezialisiert sich seit 2003 auf deutsch-britisches Recht und wir versprechen ihnen: es gibt keinen offiziellen Weg, einen Mandanten als deutscher Rechtsanwalt in UK vor Gericht zu vertreten.
When in Britain, do as Britains do
Aber wer sagt denn überhaupt, dass man zugelassener Anwalt sein muss, um jemandem in einer Gerichtsverhandlung in England beizustehen? Die Briten sind bekannt für ihre pragmatischen Problemlösungen und exzentrischen Work Arounds. Deshalb hier der Tipp vom Experten für deutsch-britisches Recht: Vertreten Sie als deutscher Anwalt den Mandanten doch einfach als „McKenzie Freund“. Das geht sogar gegen Honorar. Und völlig unabhängig von Brexit.
Was ist ein „McKenzie Freund“?
Im Jahr 1970 beantragte Herr Levine McKenzie die Scheidung von seiner Frau. Die Prozesskostenhilfe (Legal Aid), die ihm zunächst bewilligt worden war, entzog man ihm vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung (Oral Hearing) wieder, weshalb sein englischer Anwalt (Solicitor) der Kanzlei Geoffrey Gordon & Co. den Fall niederlegte, ihm aber – einen Tag vor dem Verhandlungstermin – einen am Fall interessierten australischen Barrister empfahl, der zwar schon in London wohnte, aber noch nicht bei der englischen Anwaltskammer zugelassen war. Mehr zum Unterschied zwischen einem englischen Solicitor und Barrister hier.
Dieser australische Barrister namens Ian Hanger kannte sich zwar gut im Familienrecht aus, hatte aber (noch) keine Zulassung für die Gerichte in England. Trotzdem begleitete er seinen „Mandanten“ zum Scheidungstermin in der Hoffnung, ihm wenigstens moralisch beistehen und ihm „undercover“ den einen oder anderen Tipp geben zu können. Allerdings erregte das Verhalten des australischen Anwalts – er war wohl nicht ganz schüchtern – bald die Aufmerksamkeit des Familienrichters in London, der ihm per Gerichtsbeschluss untersagte, Levine McKenzie während der Verhandlung zu beraten oder anderweitig zu unterstützen und ihn auf die Besuchergalerie verwies.
Levine McKenzie verlor den Prozess und legte Berufung ein mit der Begründung, dass ihm ein faires Verwahren (due process) verweigert worden war. Am 12. Juni 1970 entschied der englische Court of Appeal, dass die Anordnung des Richters in der ersten Instanz rechtswidrig war. Das Berufungsgericht ordnete eine Neuverhandlung an und stellte fest, dass ein Kläger ohne anwaltliche Vertretung (litigant in person / pro se litigant) ein Recht auf Unterstützung durch einen nicht-anwaltlichen Helfer hat. Dieser darf zwar nicht selbst das Wort ergreifen, die Prozesspartei aber anderweitig unterstützen.
Seither gibt es im Vereinigten Königreich das zivilprozessuale Institut des „McKenzie friend“, d.h. jeder kann sich durch einen Nichtjuristen in der Gerichtsverhandlung unterstützen lassen. Entgegen des Begriffs muss das kein echter „Freund“ sein. Auch im ursprünglichen Präzedenzfall war es ja kein Freund, sondern ein ausländischer Anwalt ohne Zulassung in England. Der McKenzie Freund darf sogar Geld für seine Unterstützung verlangen. Das hat in Großbritannien einen eigenen Dienstleistungssektor ins Leben gerufen, also kommerzielle Beratung durch Nichtjuristen. Hintergrund dafür sind die Stundensätze von englischen Barristers von 300 bis 1.000 englischen Pfund. Berater auf McKenzie-Basis sind günstiger, zwischen 30 und 150 Pfund, haben aber natürlich auch keine Haftpflichtversicherung.
Übrigens ist auch Ian Hanger mittlerweile längst ein echter englischer Barrister, sogar QC (Queens Counsel), also jenseits der 1.000 Pfund Stundensatz.
Fazit für deutsche Rechtsanwälte
Falls Sie als deutscher Anwalt einen Mandanten in UK unterstützen möchten, können Sie sich auf die McKenzie friend Rechtsprechung berufen. Allerdings sollten Sie mit Ihrem Mandanten einen Haftungsausschluss vereinbaren (falls und soweit möglich), weil die deutsche Anwaltshaftpflichtversicherung wohl eher nicht einspringt, falls etwas schief geht.
Weitere Informationen zu Rechtsstreitigkeiten mit Briten oder vor britischen Gerichten, zur englischen Zivilprozessordnung, Prozessführung und Zwangsvollstreckung in UK finden Sie in diesen Posts:
– Wie sieht eine Zivilklage in England aus?
– UK Zivilprozessordnung und Expertengutachten in England
– Anwaltliche Versicherung in UK” (solicitor’s undertaking)
– Mandant lügt im Zivilprozess, Anwalt haftet: Harte ZPO-Regeln vor englischen Gerichten
– Mal schnell Klage einreichen? Nicht in England
– Wie im Hollywood-Spielfilm: “You have been served!” (Zustellung in UK und USA)
– Sie wollen einen EU-Titel in Großbritannien vollstrecken? Wie gut sind Ihre Nerven?
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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Vertragsgestaltung, Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle.
Wir führen regelmäßig Intensivschulungen für Manager zum Thema englisches Vertragsrecht sowie zu den Rechten und Pflichten des Geschäftsführeres einer Limited Liability Company, sei es Gruppenseminare oder Einzelschulungen.
Falls Sie bei einer britisch-deutschen oder amerikanisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Kanzlei Lyndales gerne zur Verfügung. Ihre Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England).