Update zum unten stehenden Beitrag: Die Regeln der gesetzlichen Erbfolge in England wurde zum 1. Oktober 2014 geändert. Seit Erscheinen des unten stehenden Postings haben sich also wesentliche Änderungen ergeben. Details dazu in diesem Beitrag hier. Die Grundaussagen des unten stehenden Beitrags treffen natürlich immer noch zu.
Erbquoten nach englischem Erbrecht
Stirbt jemand, ohne ein (wirksames) Testament geschrieben zu haben, dann regelt das Gesetz, wer erbt und wie viel. Die gesetzliche Erbfolge nach deutschem Recht ist hier erläutert. Wie ist das im Vereinigten Königreich?
Zwar erstellen Briten häufiger ein Testament als Deutsche (Beispiel für ein UK Testament hier), aber auch in England legt höchstens jeder Zweite seinen letzten Willen schriftlich fest (Guardian), die andere Hälfte macht sich entweder keine Gedanken oder ist mit der gesetzlichen Erbfolge (Intestacy Rules) einverstanden. Wobei die Übersetzung gesetzliche „Erb“-Folge schon nicht ganz passt, die Abwicklung eines Nachlasses folgt in UK nämlich anderen Regeln als man dies aus Deutschland kennt. Während nach deutschem Recht die Erben das Vermögen direkt, Juristen sagen „unmittelbar“, bekommen, also in der Sekunde des Todes sofort selbst Inhaber aller Rechte und Pflichten des Verstorbenen sind (sog. Universalsukzession, also Gesamtrechtsnachfolge), muss in England immer erst der Nachlass als solcher durch eine dafür eingesetzte Person (sog. Personal Representative) abgewickelt werden. Im Zentrum des englischen Erbrechts steht also das Nachlassvernögen (Estate) als solches: der Estate – nicht wie bei uns die Erben – haftet für Verbindlichkeiten des Verstorbenen sowie für Erbschaftssteuer. Englische Juristen sprechen daher technisch auch nicht von „Heirs“ (den Erben), sondern von „Beneficiaries“, also den Begünstigten. Details zur Abwicklung eines englischen oder deutsch-britischen Erbfalls hier.
Wer bekommt also wie viel im Erbfall ohne Testament?
Die Verteilung des Nachlassvermögens nach englisches Recht regelt das Law of Intestacy. Hier eine grafische Übersicht der englischen Erbfolge (genauer der Beneficiaries): Diagramm_gesetzliche_Erbfolge_England
Das Schema, das aus den oben erläuterten Gründen gerade nicht die Überschrift „Legal Heirs“ trägt, sondern „Diagram summarising Distribution under the Intestacy Rules“, findet sich im sehr informativen Bericht der Law Commission zum Thema „Intestacy and Family Provision Claims on Death“, also frei übersetzt: „Ansprüche aus gesetzlichem Erbrecht und Familien-Pflichtteilsrecht bei Todesfällen“, wobei auch der Begriff Pflichtteil nicht ganz passt, denn die englische Familiy Provision unterscheidet sich ganz erheblich vom deutschen Pflichtteilsrecht. Grob zusammengefasst ist die Stellung des länger lebenden Ehegatten in UK deutlich stärker als die der Kinder. Und es gibt – anders als in Deutschland – keine festen Pflichtteilsquoten; ob überhaupt bzw. wie viel jemand als Pflichtteil bekommt, steht weitgehend im Ermessen des Gerichts. Details, Hintergründe und aktuelle Entwicklungen zum englischen „Pflichtteilsrecht“ finden sich im Bericht: Law_Commission_331_Intestacy_Report_2011
Wichtig: In Schottland ist das Erbrecht übrigens völlig anders geregelt. Hier existiert für die Kinder und den überlebenden Ehegatten ein Pflichtteilsanspruch, der dem deutschen Recht nahe kommt. Mehr dazu hier.
Weitere allgemeine Informationen zu Erbrecht, Nachlassabwicklung und Erbschaftsteuer in Deutschland, England und Schottland siehe:
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Erbrecht und Testament in England: die Basics
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Testament und Erbrecht in Schottland
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Schottland ist nicht England: Vorsicht im Erbrecht und Familienrecht
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Checkliste für Nachlassabwicklung in England & Wales
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Achtung: In Schottland gelten andere Regeln
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und in Irland sowieso
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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Civil Procedure) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Kanzlei Lyndales gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England), Telefon +49 (0) 941 – 463 7070.
[…] Natürlich findet man in der Praxis auch häufig viel kürzere und unjuristisch formulierte Testamente, etwa im Stil: “My wife shall inherit all.” Diese müssen dann – wie deutsche Testamente auch – ausgelegt werden. Ist das Testament unwirksam bzw. unverständlich, gilt die gesetzliche Erfolge (zu diesen Intestacy Rules hier). […]
[…] Rules) sowie zum englischen Pflichtteilsrecht für nahe Familienangehörige (Family Provision) sind hier zusammengestellt. Was man bei der Abwicklung eines Erbfalls in England beachten muss, haben in diesem Beitrag […]