Alle Beteiligten sind Deutsche, trotzdem UK Probate nötig?
Der Sachverhalt ist einfach, ein rein deutscher Erbfall: Der verstorbene Erblasser war deutscher Staatsbürger und hatte seinen Lebensmittelpunkt (Domicile) in Deutschland. Auch die Erben sind Deutsche und leben hier. In dieser Konstellation ist eindeutig deutsches Erbstatut anwendbar. Die Erben erhalten einen Erbschein vom örtlich zuständigen deutschen Nachlassgericht und verteilen den Nachlass unter sich. Nur eine kleine Besonderheit gibt es: Der Verstorbene hatte ein Bankkonto in UK. Oder eine Lebensversicherung. Oder ein Aktiendepot.
Nun meinen die meisten Erben, dass die englische Bank oder Versicherungsgesellschaft den Betrag schon freigeben wird, wenn man den deutschen Erbschein vorlegt und erklärt, dass der Erbfall deutschem Recht unterliegt. Schlimmstenfalls muss man den Erbschein übersetzen, beglaubigen und mit Apostille versehen lassen, das wird dann aber ja wohl genügen. Schließlich sind wir doch innerhalb der EU!
Ohne UK Erbschein geht gar nichts!
Leider weit gefehlt. Eine englische Bank oder Versicherung interessiert ein deutscher Erbschein überhaupt nicht, egal wie offiziell dieser sein mag. Sie wird gar nichts auszahlen, solange kein „Erbschein“ (Grant of Probate) eines englischen Gerichts vorgelegt wird. Eine Ausnahme gilt bei kleinen Beträgen bis maximal 5.000 Pfund, da kann man bei manchen Banken Glück haben und sie verlangen – wegen des überschaubaren Haftungsrisikos – keinen Grant of Probate.
Die traurige Erkenntnis für die Erben: Ein deutscher Erbschein ist in England völlig wertlos, auch wenn er offiziell übersetzt und mit Apostille versehen sein sollte. Banken, Versicherungen, Makler etc. wollen immer und ausschließlich die Nachlassabwickler-Urkunde eines englischen Nachlassgerichts sehen. Die Möglichkeit, einen ausländischen Erbschein anerkennen bzw. umschreiben zu lassen („Reseal of foreign Probate“) besteht in England nur für bestimmte Länder (siehe Colonial Probate Act), zu denen Deutschland aber nicht gehört. Erben in Commonwealth-Ländern stehen hier also besser als Erben aus EU-Mitgliedsstaaten.
Wenn der Erblasser also nicht schon zu Lebzeiten eine über den Tod hinaus wirksame Kontovollmacht erteilt hat, führt somit schon ein einziges Bankkonto oder Aktiendepot des Erblassers dazu, dass die Erben das aufwendige Procedere des Erbscheinsantrags in UK durchlaufen müssen (full application for a grant of probate), inklusive Steuererklärung und Ortstermin beim englischen Nachlassgericht zur Abnahme des Eides (swearing the oath). So auch explizit die Auskunft der Law Society of England Wales (hier). Der einschlägige englisches Gesetzestext dazu ist Rule 30 der „Non-Contentious Probate Rules 1987, No. 2024 (L. 10)“.
Was ist also zu tun? Formulare, Formulare …
Die Basisinformationen zum englischen Probate-Verfahren finden sich auf der Website des Justizministeriums (hier), insbesondere dem Merkblatt „How to obtain Probate without a Solicitor“ (hier) für diejenigen, die sich zutrauen, den Erbscheinsantrag ohne Hilfe eines UK Solicitors zu stellen. Dabei sollte man aber bedenken, dass man nicht nur die (nicht ganz einfach verständlichen) Formulare des englischen Finanzamts ausfüllen und einreichen muss, sondern dass derjenige, der im englischen Erbschein als Nachlassvollstrecker angegeben ist, auch einen persönlichen Termin am örtlich zuständigen Nachlassgericht in UK wahrnehmen muss. Wenn man die Flug und Übernachtungskosten einkalkuliert, erscheint die Beauftragung eines Anwalts vor Ort schon wieder wirtschaftlicher. Außerdem muss die Person natürlich fließend Englisch sprechen, da man beim Nachlassgericht einen Eid ablegen muss. Hat der englische Rechtspfleger Bedenken, ob die betreffende Person überhaupt alles versteht, dann erteilt er entweder die Probate-Urkunde nicht oder er verlangt die Hinzuziehung eines vereidigten Übersetzers, was einen neuen Termin und zusätzliches Honorar für den Übersetzer bedeutet.
Fazit: Man kann den Antrag selbst stellen, aber nur wenn man sehr gut Englisch kann und bereit ist, mindestens einmal nach UK zu reisen. Hierbei sollte man übrigens flexibel sein, weil das englische Nachlassgericht den Termin des „appointment for a personal interview“ in aller Regel kurzfristig ansetzt, d.h. oft nur mit wenigen Tagen Vorlauf. Verlangt man eine Verlegung des Termins, dann erhält man einen neuen Termin meist erst ein oder zwei Monate später. Man möchte aber ja möglichst rasch an das Bankguthaben.
Ist die Entscheidung gefallen, wer den Antrag stellt und wer der „Personal Representative“ oder „Executor“ sein soll (Details dazu hier), dann geht es an die konkreten Formulare (Probate Formulare für unsere Fallkonstellation siehe hier). Parallel muss man aber auch mit dem Finanzamt ihrer Majestät (HMRC), Abteilung Inheritance Tax korrespondieren.
Nach englischem Erbrecht fällt der Nachlass – anders als in Deutschland – nicht direkt an die Erben, sondern muss von einem Nachlassvollstrecker verwaltet und an die Begünstigten (Beneficiaries) verteilt werden. Deswegen ist auch die Systematik der Erbschaftssteuer anders: Es werden nicht die Erben bzw. Vermächtnisnehmer persönlich besteuert (so in Deutschland), sondern der Nachlass als solches. Damit der englische Fiskus sicher zu seinem Geld kommt, erteilt das englische Nachlassgericht den Erbschein (Probate) erst, nachdem das Finanzamt seine Einwilligung dazu gegeben hat. Diese Einwilligung wird aber wiederum – man ahnt es – erst erteilt, wenn die vollständig ausgefülten Steuerformulare eingereicht wurden und die anfallende Erbschaftssteuer (ganz oder teilweise) bezahlt ist. Details zur Erbschaftssteuer in UK hier.
Im konkreten Fall, also bei deutschem Erbstatut, sind also folgende beiden Formulare relevant: – Probate Application Form PA1 (Download: pa01-eng) und – HMRC Return of Estate Information IHT 207 (Download: iht207-2006-2)Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Erblasser ab dem 1.9.2006 verstorben ist, das in UK befindliche Nachlassvermögen insgesamt unter 150.000 Pfund liegt und nur aus Geld oder Wertpapieren besteht. Bei Immobilien in UK oder einem höheren Vermögen gelten wieder andere Regeln. Dann sollte man sich aber in jedem Fall anwaltlich vertreten lassen.
Da der Erbschaftssteuerfreibetrag in UK darüber liegt (derzeit beträgt die sog. nil-rate band 325.000 GBP), muss hier in der Regel in UK nichts versteuert werden und das englische Finanzamt erteilt die Unbedenklichkeitsbescheinigung. TROTZDEM MUSS DAS VERMÖGEN NATÜRLICH IN DEN DEUTSCHEN ERBSCHAFTSSTEUER-ERKLÄRUNGEN VON DEN ERBEN / VERMÄCHTNISNEHMERN ANGEGEBEN WERDEN! Details zu Erbschaftssteuer und möglicher Anrechnung von im Ausland gezahlten Erbschaftssteuer hier.
Nach etwa ein bis zwei Monaten Bearbeitungszeit erhält man dann einen Termin für das persönliche Erscheinen beim englischen Probate Court und darf dann – mit etwas Glück – als stolzer Besitzer der Probate-Urkunde zur englischen Bank oder Versicherung fahren und das Geld abholen. Viel Erfolg!
Seminare zu deutsch-britischen Erbfällen
Unsere Kanzlei ist seit vielen Jahren auf deutsch-britische sowie deutsch-amerikanische Erbfälle spezialisiert und unsere Experten für internationales Erbrecht erstellen im Jahr gut 100 solcher Affidavits für englische, schottische, australische und US-amerikanische Erbfälle. Die deutschen und britischen Anwälte der Kanzlei halten auch regelmäßig Vorträge und Fortbildungsseminare für Anwälte, Steuerberater und Finanzberater zu den Themen deutsch-britisches Erbrecht, zur Nachlassabwicklung sowie zum internationalen Erbschaftsteuerrecht, etwa am 3. November 2016 in London.
Weitere allgemeine Informationen zu Erbrecht, Nachlassabwicklung und Erbschaftsteuer in Deutschland, England und Schottland siehe:
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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Kanzlei Lyndales gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Law. Telefon 0941 463 7070.
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