Die Unterschiede zwischen deutschem und englischem Erbrecht im Hinblick auf die Rechtsfolgen einer Scheidung
Wer sich scheiden lässt, will in den meisten Fällen auch nicht, dass der (Ex-) Partner noch etwas erbt. Deshalb regelt § 1933 BGB, dass das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten wegfällt,
wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte.
Man muss also nicht bis zum Ausspruch des Scheidungsurteils warten (das kann unter Umständen ja einige Jahre dauern), sondern das deutsche Erbrecht verlagert diese Wirkung bereits erheblich vor, nämlich auf den Zeitpunkt, in dem klar ist, dass die Ehe geschieden werden soll und kann.
Anders in Großbritannien: Nach englischem Erbrecht ist jeder Ehegatte auch dann noch gesetzlich erbberechtigt, wenn der Scheidungsprozess läuft. Das englische Erbrecht stellt nämlich auf eine gerichtliche Entscheidung im englischen Scheidungsverfahren ab. Das muss zwar noch nicht das endgültige Scheidungsurteil (divorce decree absolute) selbst sein, aber wenigstens ein „decree of judicial separation“; einen gerichtlichen Beschluss über die Trennung der Ehegemeinschaft muss das englische Familiengericht also zumindest erlassen haben. Stirbt dann ein Ehegatte, also nach dem „judicial separation“-Beschluss aber bevor die endgültige Scheidung ausgesprochen wurde, so ist der überlebende Ehegatte, obwohl formell noch verheiratet, dennoch von der gesetzlichen Erbfolge nach englischen Recht ausgeschlossen. Er oder sie wird in dieser Konstellation so behandelt, als wäre er/sie am Tag des Beschlusses bereits vorverstorben und somit nicht mehr bei der Verteilung des Nachlasses berücksichtigt.
Was passiert, wenn ein Testament existiert?
Bis jetzt haben wir den Fall diskutiert, dass der verstorbene Ehegatte kein Testament hatte, also gesetzliche Erbfolge eintritt. Was aber, wenn Verheiratete, die ein Testament erstellt haben, sich später scheiden lassen? Ist das Testament dann automatisch unwirksam? Und falls ja, ab wann genau?
Nach § 2077 Abs. 1 BGB ist eine letztwillige Verfügung (also nicht automatisch das gesamte Testament), in der der Verstorbene seinen Ehepartner bedacht hat, unwirksam:
…, wenn die Ehe vor dem Tode des Erblassers aufgelöst worden ist. Der Auflösung der Ehe steht es gleich, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Das Gleiche gilt, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes berechtigt war, die Aufhebung der Ehe zu beantragen, und den Antrag gestellt hatte.
Ein gemeinschaftlich errichtetes Ehegattentestament (sog. Berliner Testament) wird gemäß § 2268 Absatz 1 BGB aus Sicht des deutschen Erbrechts automatisch unwirksam, und zwar insgesamt („seinem ganzen Inhalt nach“), weil das Gesetz davon ausgeht, dass die Eheleute ein solches gemeinschaftliches Testament im Vertrauen auf den Bestand der Ehe erstellt haben. Die Eheleute müssen dann also neu testieren.
Anders nach englischem Erbrecht
In England wird ein bestehendes Testament (Eheverträge nach deutschem Verständnis gibt es dort ja nicht) nicht bereits mit Stellung des Scheidungsantrags unwirksam, seltsamerweise auch nicht mit Erlass eines „judicial separation decree“ (Trennungsbeschluss), sondern erst mit endgültiger Auflösung der Ehe, also erst zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des englischen Scheidungsurteils. Wann eine Scheidung nach englischem Recht Auswirkungen auf ein bestehendes Testament hat, ist in Section 18A des Wills Act 1837 geregelt (ja, die Jahreszahl ist kein Scherz, der Wills Act 1837 gilt immer noch):
Effect of dissolution or annulment of marriage on wills
(1) Where, after a testator has made a will, a decree of a court dissolves or annuls his marriage (a)provisions of the will appointing executors or trustees or conferring a power of appointment, if they appoint or confer the power on the former spouse, shall take effect as if the former spouse had died on the date on which the marriage is dissolved or annulled, and (b)any property which, or an interest in which, is devised or bequeathed to the former spouse shall pass as if the former spouse had died on that date, except in so far as a contrary intention appears by the will.
Aus dem letzten Teil erkennt man, dass der Ersteller in seinem Testament natürlich auch anordnen kann, dass das Testament die Scheidung überdauern soll. Es handelt sich also bei Section 18A Wills Act 1837 um eine Auslegungsregel.
Wichtig ist, dass das Testament auch nach englischem Recht durch die Scheidung nicht vollständig unwirksam wird. Es bleibt vielmehr prinzipiell wirksam, soweit andere Personen darin begünstigt werden, nur die darin enthaltenen Passagen, die sich auf den (geschiedenen) Ehegatten beziehen, verlieren ihre Wirkung. Das sind in einem englischen Testament in der Regel die Ernennung zum Executor und/oder die Begünstigung durch finanzielle Zuwendungen (entweder durch Legacies oder in Form einer Beteiligung am Residuary Estate). Die Auslegung eines solchen partiell unwirksamen Testaments ist natürlich extrem schwierig und streitanfällig.
Übrigens: Hochzeit in England macht Testament unwirksam
Durch eine Heirat wird ein bestehendes Testament in England automatisch unwirksam (Section 18 Wills Act 1837):
Wills to be revoked by marriage, except in certain cases
(1)Subject to subsections (2) to [F2(5)] below, a will shall be revoked by the testator’s marriage.
Es sei denn man erkennt aus dem Testament, dass der Ersteller bei Abfassung seines Testaments bereits von der konkreten Hochzeit ausging, das Testament also gerade im Hinblick auf die bevorstehende Ehe erstellt hat.
Fazit
Wer sicher gehen will, dass sein Testament im Ernstfall wirksam ist, sollte bei Heirat und bei Scheidung den Wortlaut seines bestehenden Testaments prüfen. Im Zweifel ist es besser, neu zu testieren und ausdrücklich zu erwähnen, dass man dieses neue Testament im Hinblick auf die Hochzeit bzw. Scheidung erstellt.
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