Von Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl, Experte für englisches Zivilprozessrecht
Der englische Zivilprozess folgt ganz anderen Regeln als in Deutschland. Das Praxishandbuch „Der Zivilprozess in England“ erklärt deutschen Unternehmern und deren deutschen Anwälten die Unterschiede, warnt vor typischen Fehlern und Kostenfallen.
Der Autor des Praxishandbuchs, Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl, Master of Laws, ist Experte fürRechtsvergleichung, insbesondere für deutsch-englisches Prozessrecht sowie internationales Erbrecht. Er berät und vertritt deutsche Unternehmen und wohlhabende Privatpersonen in grenzüberschreitenden Rechtsfällen, insbesondere bei deutsch-britischen Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen, komplexen Erbfällen und internationalen Gerichtsverfahren.
Hier ein Ausschnitt speziell zum Thema der zwei verschiedenen Arten von Anwälten in England:
Manchmal geht es auch ohne Perücke: Solicitor Advocate statt Barrister
Für englische Juristen ist die traditionelle Unterscheidung in Solicitors und Barristers bis heute ganz selbstverständlich. Einem deutschen Rechtsanwalt oder US-amerikanischen Attorney at Law kommt diese Aufgabentrennung zwischen außergerichtlichem Rechtsberater (Solicitor) und reinem Prozessanwalt (Barrister) etwas befremdlich vor. Warum kann mich mein Anwalt, der den Fall bestens kennt und die vorprozessuale Korrespondenz mit der Gegenseite geführt hat, mich nicht auch vor Gericht vertreten.
Solicitors wollen meist gar nicht als Prozessanwalt vor Gericht
Nun, das liegt zum einen daran, dass Solicitors nicht dafür ausgebildet sind, einen Fall vor Gericht zu präsentieren. Die mündliche Verhandlung eines Zivilprozesses läuft in England und Wales (für Schottland gelten wieder andere Regeln) erheblich formeller ab als in Deutschland und hat deshalb eine größere Bedeutung für den Ausgang des Falls (auch wenn Zivilprozesse in England und Wales heutzutage in der Regel ohne Jury stattfinden). Insbesondere die Beweisführung folgt in England ganz anderen Spielregeln, von der Pflicht zur aktiven Offenlegung aller Dokumente, eMails und Memos (Disclosure) ganz zu schweigen.
Zweitens dürfen „normale“ Solicitors nach englischen Zivilprozessregeln bei höheren Gerichten auch gar nicht als Prozessvertreter auftreten. Sie haben in diesen Higher Courts kein „right of audience“ (Vortragsrecht), sind also nicht postulationsfähig. Zumindest solange sie keine Zusatzqualifikation der englischen Anwaltsregulierungsbehörde (Solicitors Regulation Authority, SRA) erworben haben. Geprüft wird in den Bereichen Beweisrecht (evidence), Ethik (ethics) und Vortragskunst (advocacy), siehe den „Kursplan“ hier.
Vor englischen Gerichten wird den Anwälten nämlich erheblich mehr abverlangt als in deutschen Gerichtssälen. Deutsche Rechtsanwälte verlassen sich nicht selten auf die römischen Rechtsregeln da mihi facta, dabo tibi ius und iura novit curia. Frei übersetzt: Gib dem Gericht nur die Fakten, das Gericht kennt das Recht dann schon selbst. Darauf ruht sich so mancher deutsche Rechtsanwalt aus und verzichtet darauf, umfassende rechtliche Recherche zu betreiben und dem Gericht Urteile oder Kommentarfundstellen zu zitieren. In England ist das Leben für Prozessanwälte erheblich anstrengender. Englische Richter erwarten von den Anwälten, dass diese die rechtliche Argumentation klar herausarbeiten und eine Zusammenfassung der juristischen Argumentation liefern (sog. „skeleton argument“). Als Beweisangebot genügt auch nicht ein lapidarer Vortrag im Stil von
„A und B haben am Datum Y einen mündlichen Kaufvertrag geschlossen, Beweis: Zeugnis des A“
In einem englischen Zivilprozess müssen solche Zeugenaussagen vielmehr vorher schriftlich im Detail niedergelegt werden und der Zeuge muss an Eides statt versichern, dass die schriftliche Aussage richtig und vollständig ist. Details dazu hier. Trägt ein englischer Prozessanwalt vor Gericht einen Sachverhalt vor, bei dem er wissen kann, dass das so nicht stimmt, droht dem Anwalt auch selbst gehöriges Ungemach. Die Pflicht des Prozessanwalts gegenüber dem Gericht wird in England erheblich strenger gesehen als in Deutschland. Einem deutschen Anwalt, der einen Sachvortrag seines Mandanten ungeprüft in seinen Schriftsatz übernimmt, selbst wenn er erhebliche Zweifel hat, ob das so stimmt, dem passiert in Deutschland in der Regel gar nichts. Da englische Prozessanwälte also genau wissen müssen, was sie da tun, wagen sich die meisten Solicitors nicht als aktive Akteure in den Gerichtssaal. Sie sind natürlich bei der Verhandlung dabei und liefern dem Barrister Informationen zu, ergreifen vor Gericht aber nicht selbst das Wort.
Der dritte Grund, einen Barrister hinzuzuziehen: Barrister sind oft auch inhaltlich (Juristen sagen materiell-rechtlich) ausgewiesene Spezialisten in einem bestimmten Rechtsgebiet, bringen also nicht nur die sogenannte „advocacy“ (Prozessgewandtheit und rhetorische Expertise) mit, sondern auch das juristische Fachwissen in einem bestimmten Rechtsbereich oder für eine bestimmte Branche (z.B. Wirtschaftsrecht, Baurecht, Bankenrecht, Finanzdienstleistung), insbesondere die genaue Kenntnis des einschlägigen Richterrechts (case law).
Solicitor Advocate: Der Hybrid des englischen Prozessrechts
Trotz all dieser Gründe, muss es nicht immer ein Perückenträger sein. Denn wer als Solicitor die Zusatzausbildung durchlaufen und die „advocacy assessment“-Prüfung bestanden hat, darf als sog. Solicitor Advocate seine Mandanten nun auch vor den höheren Gerichten selbst vertreten. Für Mandanten hat das den Vorteil, dass die (sündteuren) Barristers entweder gar nicht mehr gebraucht werden oder – wenn man wegen ihrer Fachbereichsexpertise nicht ganz darauf verzichten will – sie wenigstens nur punktuell hinzuziehen muss, nicht für die gesamte Dauer der mündlichen Verhandlung. In England sind mündliche Verhandlungen nämlich in aller Regel erheblich länger als in Deutschland, ein Zivilverfahren wird oft für mehrere ganze Tage am Stück angesetzt.
Auch Solicitor-Advocates fokussieren sich meist auf ein bestimmtes Rechtsgebiet. Unsere englische Partnerkanzlei Buckles Solicitors verfügt über eine ganze Prozessrechtsabteilung (Dispute Resolution) mit dem erfahrenen Solicitor Advocate James Maxey an der Spitze.
Als Informationsquelle für Mandanten, die möglicherweise in einen Zivilprozess oder ein Wirtschaftsverfahren in England oder Wales verwickelt werden, dient das Praxishandbuch „Der Zivilprozess in England„, das speziell für deutsche Unternehmer und deren deutsche Prozessanwälte geschrieben wurde..
Weitere Informationen zu Rechtsstreitigkeiten mit Briten oder vor britischen Gerichten, zur englischen Zivilprozessordnung, Prozessführung und Zwangsvollstreckung in UK in diesen Posts:
– Wie sieht eine Zivilklage in England aus?
– In englischen Rechtsstreit verwickelt?
– Das angekratzte Ego des Gerichts-Sachverständigen
– Schmerzensgeldreform in UK
– UK Zivilprozessordnung und Expertengutachten in England
– Anwaltliche Versicherung in UK” (solicitor’s undertaking)
– Mandant lügt im Zivilprozess, Anwalt haftet: Harte ZPO-Regeln vor englischen Gerichten
– Mal schnell Klage einreichen? Nicht in England
– Wie im Hollywood-Spielfilm: “You have been served!” (Zustellung in UK und USA)
– Sie wollen einen EU-Titel in Großbritannien vollstrecken? Wie gut sind Ihre Nerven?
– Solicitors, Barristers, Advocates: Wer darf in England vor Gericht eigentlich was?
Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Rechtsanwalt Schmeilzl und sein Team von Prozessanwälten sind Experten für deutsch-englisches sowie deutsch-amerikanisches Recht. Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Partnerkanzlei gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England).