Nein, ein Executor in England oder USA ist nicht immer automatisch auch Testamentsvollstrecker in Deutschland
In anglo-amerikanischen Rechtsordnungen wird der Nachlass, also das Vermögen eines Verstorbenen, stets von einem „personal representative“ abgewickelt, also dem „persönlichen Stellvertreter des Verstorbenen“. Anders als in Deutschland rücken die Erben in diesen Ländern nämlich gerade nicht sofort und direkt in die rechtliche Position des Verstorbenen ein (keine unmittelbare Gesamtrechtsnachfolge). Stattdessen muss immer eine formelle „estate administration“ (Nachlassverwaltung) erfolgen.
Ein Grund dafür ist, dass in diesen anglo-amerikanischen Ländern die Haftung für Verbindlichkeiten des Verstorbenen immer auf den Nachlass (die Erbmasse) beschränkt ist. Die Vermögensmassen des Verstorbenen und seiner Erben dürfen sich deshalb nicht vorschnell vermischen. Bis alle Verbindlichkeiten und Steuern gezahlt sind, muss die Erbmasse klar abgegrenzt bleiben. Der Nachlass besteht in diesen Ländern daher zunächst als „Sondervermögen“ fort, kann selbst Ansprüche geltend machen und verklagt werden. In großen, komplizierten Erbfällen, vor allem wenn sich Unternehmen im Nachlassvermögen befinden, kann das viele Jahre dauern. So laufen zum Beispiel sogar im Jahr 2022, also 13 Jahre nach Michael Jacksons Tod, noch immer Zivilprozesse, in denen „the estate of Michael Jackson“ eine Prozesspartei ist (siehe Medienberichte hier).
Mehr zur Abwicklung von Erbfällen in England in dieser Broschüre mit ausführlicher Checkliste: https://www.cross-channel-lawyers.de/checkliste-erbfall-in-england/
Benennung eines Executors als Regelfall
Wer in solchen, vom Common Law geprägten, Ländern, also insbesondere im Vereinigten Königreich, in USA, Irland, Australien oder Kanada, ein Testament erstellt, wird darin in aller Regel einen oder mehrere „executors“ bestimmen. Das kann ein Anwalt oder Steuerberater sein, ein Verwandter oder eine sonstige Vertrauensperson. Dieser Executor darf übrigens auch selbst im Testament begünstigt werden, oft wird zum Beispiel der Ehegatte sowohl zum Executor als auch zum alleinigen Begünstigten (beneficiary) bestimmt.
Was aber, wenn der Verstorbene auch Vermögen in Deutschland besaß und das Testament auch für diesen deutschen Nachlass gilt? Dann stellt sich die praktische Frage: Wollte der Testamentsersteller mit der Bestellung eines Executors in USA, UK etc. (was dort ja der Normalfall ist) wirklich auch eine Testamentsvollstreckung in Deutschland anordnen?
Der erste Impuls ist bei den meisten: na klar, was denn sonst? Executor heißt doch Testamentsvollstrecker! Vor allem englische und amerikanische Anwälte sowie die Executors selbst gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass ein solcher Executor auch die Befugnis hat, den deutschen Nachlass abzuwickeln. Sie kontaktieren mich dann meist mit dem Auftrag, ein deutsches Testamentsvollstreckerzeugnis zu beantragen (nachdem sie den Schock verdaut haben, dass ein englisches oder amerikanisches Nachlasszeugnis in Deutschland nicht genügt).
So einfach ist es aber nicht!
Der Regelfall ist in Deutschland die Abwicklung des Nachlasses durch die Erben selbst und unmittelbar. Einen Testamentsvollstrecker, gar einen Dauertestamentsvollstrecker, setzen in Deutschland nur wenige Testamentsersteller ein. Das gängige „Standardnachlasszeugnis“ ist deshalb in Deutschland der Erbschein, nicht das Testamentsvollstreckerzeugnis.
Deutsche Gerichte hinterfragen daher bei solchen ausländischen Testamenten aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis, ob mit der Benennung eines Executors wirklich eine „echte“ Testamentsvollstreckung für Deutschland gewollt war. Anders gefragt: Hätte der Erblasser gewusst, dass bei einem Erbfall in Deutschland kein „personal representative“ erforderlich ist, hätte er dann trotzdem auch für das Vermögen in Deutschland Testamentsvollstreckung angeordnet?
Zumal die Bejahung einer Testamentsvollstreckung in Deutschland bedeutet, dass bei Immobilien nun zwei Nachlasszeugnisse nötig sind, sowohl ein Testamentsvollstreckerzeugnis als auch ein Erbschein, weil das Grundbuchamt die neuen Eigentümer des Grundstücks eintragen will – und dafür verlangt das Grundbuchamt einen Erbschein.
Wie legen deutsche Gericht eine Executor-Klausel aus?
In der Praxis unterscheiden die deutschen Gerichte danach, welche Aufgaben das Testament dem Executor konkret zuweist. Handelt es sich dabei nur um das „Standardprogramm“, also die Mindestaufgaben jedes „personal representative“, dann kommt das deutsche Nachlassgericht zum Ergebnis, dass für Deutschland gerade keine Testamentsvollstreckung gemeint war.
Diese Mindestaufgaben sind, den Nachlass in Besitz zu nehmen, die Nachlassschulden zu begleichen, die Zuwendungen von Todes wegen zu erfüllen und dann den verbleibenden Nachlass an die Begünstigten zu verteilen (Solomon, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 4. Auflage 2022, Länderberichte, Vereinigtes Königreich, Rn. 145). Beschränken sich die Aufgaben des im Testament eingesetzten Executors auf diese nach Common Law zur Nachlassabwicklung zwingend erforderlichen Funktonen, so ist damit im Zweifel keine Testamentsvollstreckung im Sinne des deutschen Rechts angeordnet (BGH WM 1969, 72; BayObLGZ 1980, 42, 48).
Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung auch im Sinn des deutschen Rechts kann man nur dann annehmen, wenn nach dem Willen des Erblassers (§ 133 BGB) der Executor auch noch mit weiteren Aufgaben betraut ist, vor allem wenn er über einen längeren Zeitraum hinweg die Aufgaben eines Vermögenstreuhänders („trustee“) übernehmen soll (vgl. BayObLGZ 1980, 42, 48; BGH WPM 1969, 72; OLG Frankfurt DNotZ 1972, 543).
Die Auslegung des Testaments im konkreten Einzelfall ist schwierig, denn die Grenzen sind dabei fließend und in Common Law Testamenten wird meist standardmäßig von „my executor(s) and trustee(s)“ gesprochen. Allein die Verwendung des Begriffs „trustee“ ist daher nicht ausreichend, es kommt auf die konkreten Aufgaben und Kompetenzen an. Auch einfache Vermächtnisse („legacies“), die der Executor auszahlen muss, genügen wohl noch nicht. Anders aber, wenn der Executor eigene Entscheidungsbefugnisse hat, wann, an wen und in welcher Höhe solche Vermächtnisse ausbezahlt werden.
Tipps für die Praxis
In Grenzfällen folgen Nachlassgerichte manchmal dem Interpretationsvorschlag des Antragsstellers, insbesondere wenn alle Beteiligten damit einverstanden sind und schriftlich ihre Zustimmung zum Antrag erklären. Existiert in Deutschland Immobilienvermögen, benötigt man ohnehin (ggf. zusätzlich) einen Erbschein; daher ist es in diesen Fällen günstiger, wenn man zum Ergebnis „keine Testamentsvollstreckung“ gelangt. Besteht der deutsche Nachlass aus beweglichem Vermögen, ist ein TV-Zeugnis (allein) die charmantere Lösung.
Kompetenzkonflikte zwischen Executor und Erben
Sind die im Testament begünstigten Personen (also die Erben) und der Executor zerstritten, kommt es in diesen internationalen Fällen zu heiklen Abstimmungsproblemen und Kompetenzkonflikten. Denn der Executor in UK oder USA sieht sich natürlich auch dann für den gesamten weltweiten Nachlass zuständig und verantwortlich, auch wenn er wegen der – aus seiner Sicht unlogischen deutschen Rechtsprechung – in Deutschland kein Testamentsvollstreckerzeugnis erhält, sondern die Erben den deutschen Nachlass selbst verwalten (dürfen).
Weitere Informationen zu Erbfällen mit Bezug zu England und USA
Sie sehen: Die Abwicklung eines Nachlasses folgt in Großbritannien und USA völlig anderen Regeln als in Deutschland. Auf diesem Blog erklären wir in vielen Beiträgen das englische Erbrecht, die englische Erbschaftsteuer, warum zwingend immer ein Nachlassabwickler nötig ist und wie man das englische Nachlasszeugnis beantragt: Liste der Beiträge hier
Auf unserer weiteren Website www.erbschaft-in-england.de haben wir eine ausführliche Checkliste zusammengestellt, die auf vier Seiten die wichtigsten To Do’s auflistet und erklärt (PDF-Download hier).
Weitere Informationen zum Thema Testamentsvollstreckung
Liste der Beiträge zu Testamentsvollstreckung auf CCL
Der Experte für deutsch-britische Erbfälle
Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl, Master of Laws (Leicester) ist seit gut 20 Jahren Spezialist für die Abwicklung deutsch-britischer Erbfälle sowie die Gestaltung von Testamenten bei Vermögen im Ausland. Kontakt per E-Mail oder unter 0941 / 463 7070.
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