Sekretärinnen in London verdienen mehr als Anwälte in der englischen Provinz

Der mit Abstand größte Kostenblock in einem englischen Zivilprozess sind die Anwaltskosten. Traditionell orientiert sich die Vergütung von Solicitors und Barristers in England und Wales nicht – wie in Deutschland – nach dem Streitwert, sondern nach der Qualifikation des Rechtsanwalts, der Berufserfahrung (Jahre seit der Anwaltszulassung) sowie – anders als in Deutschland – nach dem Ort, an dem diese anwaltlichen Berater ihren Kanzleisitz haben. Stundensätze in Central London sind bei ähnlicher Qualifikation des Anwalts gerne doppelt so hoch wie in der englischen Provinz.

Verbindliche Gebührentabellen für Anwälte existieren in England nicht. Allerdings orientieren sich die englischen Gerichte bei den Kostenentscheidungen in einem Zivilprozess (cost order, ähnlich dem Kostenfestsetzungsbeschluss, KFB, in Deutschland) an der „Stundensatz-Richtlinie“, die vom Master of the Rolls herausgegeben wird. Dabei ist interessant, dass nicht nur die Anwaltskosten im engen Sinne abgerechnet werden, sondern auch der Zeitaufwand von Assistenzpersonal, also Paralegals, Referendaren und Assistants. Aktuell gelten seit 1.10.2021 folgende Sätze:

Solicitors‘ guideline hourly rates

Guideline figures for carrying out a summary assessment of court costs, listed by pay band and grade for different parts of the country.

GradeFee earnerLondon 1London 2London 3National 1National 2
ASolicitors and legal executives with over 8 years’ experience£512£373£282£261£255
BSolicitors and legal executives with over 4 years’ experience£348£289£232£218£218
COther solicitors or legal executives and fee earners of equivalent experience£270£244£185£178£177
DTrainee solicitors, paralegals and other fee earners£186£139£129£126£126

Die Tabelle zeigt, dass erfahrene Solicitors (mit mehr als acht Jahren Berufserfahrung) in Region London 1 satte 512 Pfund netto pro Stunde berechnen dürfen (also plus 20% englischer Mehrwertsteuer), während sich die Kolleginnen und Kollegen mit Kanzleien in englischen Kleinstädten wie Barnstaple oder Berwick-upon-Tweed mit 255 Pfund begnügen müssen. Höhere Stundensätze als in der Guideline-Tabelle aufgeführt geltend zu machen ist möglich, insbesondere in umfangreichen und rechtlich komplexen Fällen, erfordert aber eine überzeugende Begründung durch die Kanzlei, die solche höheren Stundensätze beansprucht.

Diese Stundensätze (als Ausgangspunkt) sind relevant für alle Bereiche der forensischen Kosten. Sie gelten für sowohl für das costs budgeting (Kostenplanung), finden Eingang in das Formular N260: Statement of Costs (summary assessment) und sie sind Grundlage für die finale Kostenentscheidung des Gerichts (detailed asessment of costs).

Die für die Einschaltung der Barrister entstehenden Gebühren (counsel’s fees) werden ebenfalls durch die solicitors über das Formular N260 abgerechnet, aufgeschlüsselt in „fees for advice / conference / documents“ einerseits und „fees for hearing“ andererseits. Barrister-Gebühren stellen also Auslagen (expenses) der Solicitor-Kanzlei dar und der das Kostenformular unterzeichnende Solicitor muss bestätigen, dass diese externen Gebühren tatsächlich angefallen und bezahlt sind. Eine offizielle Empfehlung der Stundensatzhöhe existiert für Barrister nicht. Barrister legen ihre Gebühren nach pflichtgemäßem Ermessen selbst fest.

DER TEXT IST EIN STARK GEKÜRZTER AUSZUG AUS DEM PRAXISHANDBUCH „DER ZIVILPROZESS IN ENGLAND“, KAPITEL „PROZESSKOSTEN IM ZIVILPROZESS ENGLAND & WALES“.

Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl, Master of Laws, ist Experte für Rechtsvergleichung, insbesondere für deutsch-englisches Prozessrecht sowie internationales Erbrecht. Er berät und vertritt deutsche Unternehmen und wohlhabende Privatpersonen in grenzüberschreitenden Rechtsfällen, insbesondere bei deutsch-britischen Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen, komplexen Erbfällen und internationalen Gerichtsverfahren. Er ist Autor des Anfang 2024 erscheinenden Praxishandbuchs Der Zivilprozess in England

Weitere Informationen zum englischen Zivilprozess in diesen Beiträgen:

–  Was verdienen Richter in England?

– Wie sieht eine Zivilklage in England aus?

– In englischen Rechtsstreit verwickelt?

– Das angekratzte Ego des Gerichts-Sachverständigen

– Schmerzensgeldreform in UK

– UK Zivilprozessordnung und Expertengutachten in England

– Anwaltliche Versicherung in UK” (solicitor’s undertaking)

– Mandant lügt im Zivilprozess, Anwalt haftet: Harte ZPO-Regeln vor englischen Gerichten

– Mal schnell Klage einreichen? Nicht in England

– Wie im Hollywood-Spielfilm: “You have been served!” (Zustellung in UK und USA)

– Sie wollen einen EU-Titel in Großbritannien vollstrecken? Wie gut sind Ihre Nerven?

– Solicitors, Barristers, Advocates: Wer darf in England vor Gericht eigentlich was?

Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Litigation) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Rechtsanwalt Schmeilzl ist Experte für Rechtsvergleichung, für deutsch-englisches sowie deutsch-amerikanisches Prozessrecht sowie Erbrecht und agiert auch in vielen Fällen als Nachlassabwickler (Executors & Administrators) für deutsch-britische oder deutsch-amerikanische Erbfälle.

Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors unserer Partnerkanzleien gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England).

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