Welche Schulden bleiben trotz Restschuldbefreiung nach Insolvency Act 1986 (England & Wales) bestehen?
Das Insolvenzverfahren in England ist erheblich kürzer und die Vorschriften deutlich lascher als in Deutschland, zumindest deren Handhabung in der Praxis. Deshalb gab es bisher einen gewissen „Insolvenztourismus“ von Deutschland nach Großbritannien, d.h. überschuldete Personen sind nach England umgezogen (oder taten jedenfalls so), stellen dort einen Insolvenzantrag und erhielten nach vergleichsweise kurzer Zeit (ein Jahr) die Restschuldbefreiung, im englischen Recht „Discharge“ genannt. Mehr dazu in unseren früheren Beiträgen. Ob das alles auch nach Brexit weiterhin funktionieren wird, bleibt abzuwarten.
In diesem Beitrag räumen wir mit einem häufigen Missverständnis auf, nämlich dem Mythos, dass Schadensersatzansprüche (damage claims) in England nicht unter die Restschuldbefreiung fallen, solche Schadenersatzansprüche also angeblich auch danach bestehen bleiben und (in Deutschland) vollstreckt werden können.
Der oft falsch verstandene § 281 Insolvency Act 1986
Der zentrale Paragraf zum Thema Restschuldbefreiung nach englischem Recht ist § 281 Insolvency Act 1986 (abgekürzt: IA). Diese Norm des englischen Insolvenzrechts regelt die Voraussetzungen und die Wirkungen der Restschuldbefreiung (Effects of Discharge) im englischen Insolvenzverfahren.
Deutsche Gläubiger (und sogar manche deutschen Gerichte) lesen diesen Paragrafen oft falsch, insbesondere § 281 Abs. 5, der anordnet, welche Art von Verbindlichkeiten (Bankruptcy Debts) trotz einer solchen Restschuldbefreiung bestehen bleiben. Der Wortlaut von § 281 (5) Insolvency Act 1986 ist:
Discharge does not, except to such extent and on such conditions as the court may direct, release the bankrupt from any bankruptcy debt which
- consists in a liability to pay damages for negligence, nuisance or breach of a statutory, contractual or other duty, or to pay damages by virtue of Part I of the Consumer Protection Act 1987, being in either case damages in respect of personal injuries to any person, or
- (… betrifft Kindesunterhalt …)
Optimistische deutsche Gläubiger, die gegen den Schuldner eine Schadensersatzforderung besitzen, lesen diesen Paragrafen, freuen sich und behaupten: Schadensersatzforderungen bleiben trotz Restschuldbefreiung bestehen, da steht es ja schwarz auf weiß!
Nun ja, not really!
Die wesentliche Passage in § 281 (5)(a) ist nämlich:
“… being in either case damages in respect of personal injuries to any person”.
Dieser letzte Halbsatz bezieht sich auf den gesamten vorherigen Text und bedeutet auf deutsch:
„… soweit jeder der vorgenannten Fälle sich auf eine Verletzung einer Person bezieht.“
Im Ergebnis nimmt § 281 Abs. 5 (a) Insolvency Act 1986 somit nur solche Schadensersatzforderungen von der Restschuldbefreiung aus, die auf „personal injury“ beruhen, also einem Körperschaden (Körperverletzung Tod).
Für englische Juristen ist es so selbstverständlich, dass § 281 (5)(a) Insolvency Act nur „personal injury claims“ (Ansprüche wegen Körperverletzung) erfasst, dass hierzu kaum ausführliche Kommentierungen zu finden sind. Im offiziellen „Leitfaden Insolvenzverfahren“ der englischen Regierung „Guide to Bankruptcy“ werden unter Ziffer 7.2 die Ausnahmen von der Restschuldbefreiung abschließend aufgelistet wie folgt:
7.2 What happens to your debts
You’ll be freed from your debts once your bankruptcy has ended, except for:
- debts gained by fraud
- money owed under family proceedings (maintenance and lump sum settlements)
- damages payable to anyone for personal injuries
- student loans
- court fines
- debts created after the bankruptcy order
Der dritte Spiegelstrich gibt den Inhalt der Norm § 281(5)(a) verkürzt wieder mit: „damages payable to anyone for personal injuries“. Sonstige Schadensersatzansprüche werden nicht genannt. Auch aus dem Kontext der anderen Gründe ergibt sich, dass nicht jeder vertragliche Schadensersatzanspruch ausgenommen sein kann, weil sonst für die Restschuldbefreiung nach englischem Recht wenig Anwendungsspielraum verbliebe.
Fazit für deutsche Gläubiger
Freuen können sich nur diejenigen deutschen Gläubiger, deren Schadensersatzanspruch auf personal injury basiert. Oder auf einem der anderen Ausnahmegründe wie zum Beispiel Betrug. Alle anderen Ansprüche sind futsch, sofern der Schuldner das englische Insolvenzverfahren korrekt durchlaufen hat.
Aber vielleicht beseitigt der Brexit für die Zukunft ja ohnehin den Insolvenztourismus nach Großbritannien.
Das anglo-deutsche Anwaltsteam der Kanzlei Graf & Partner löst seit 2003 deutsch-britische und deutsch-amerikanische Rechtsfragen. Die deutsch-amerikanische Prozessabteilung Graf Legal berät und vertritt deutsche, britische und US-amerikanische Unternehmen in internationalen Arbitrationverfahren und Gerichtsprozessen.