Es ist wie immer: Nach einer Weile ist die Öffentlichkeit von einem Thema gelangweilt, auch wenn es so gravierende Auswirkungen hat wie die Brexit-Entscheidung. Sogar die Briten selbst scheinen mittlerweile angeödet. Da fährt man lieber in Urlaub und sieht Olympia im Fernsehen. Aber gewählt ist gewählt und irgendwer muss den Brexit ja nun umsetzen. Den Briten wurde ja schließlich ein Great Deal versprochen und ein zentraler Slogan war „Take Control“. Wie ist also zwei Monate nach dem Referendum der Sachstand in Politik und Verwaltung auf der Insel? Die arbeiten ja sicher alle mit Hochdruck am Thema oder?
Nun, der Guardian schildert in zwei hoch informativen Berichten den Status Quo der Umsetzung des (formell noch gar nicht eingeleiteten) Brexit. Ein Auszug:
“It is staggering,” said one top UK official. “They have not even got to base one* in terms of knowledge.” Charles Grant, director of the Centre for European Reform in London, says some “very senior” people in the UK government are deeply ignorant about the single market, and adds that only now are the Brexit-backers beginning to grasp the difficulty of what faces them. I think that two months down the line the senior Brexiters are beginning to realise that the whole process is going to be a lot more complicated, time-consuming and boring than they had imagined before, when they had presented it all as black and white.“
* „… they have not even got to base one in terms of knowledge… “ heißt, „… sie haben noch nicht einmal die Grundzüge verstanden…“. Ein Bild aus dem Baseballsport: Auf das erste Base gelangen, von ingesamt vier 🙂
Im zweiten, noch detaillierteren Beitrag zitiert der Guardian die Einschätzung hochrangiger britischer Beamter, dass Artikel 50 frühestens im März 2017 getriggert wird, vielleicht sogar erst Ende 2017 oder gar erst 2018. Warum? Weil die Beamten schlicht noch nicht so weit sind und erst jetzt so langsam klar wird, welche Mammutaufgaben der Austritt und die Neuverhandlungen mit sich bringen. Ganz zu schweigen davon, dass man nicht genug Verhandler und Beamte hat.
Die neue Premierministerin Theresa May („Brexit means Brexit“) hat zwei neue Ministerien geschaffen und die Lösung der praktischen Probleme an die Brexit-Befürworter delegiert: Das „Department for Exiting the European Union“ (DExEU), angeführt von David Davis, und das „Department for International Trade“, geleitet von Liam Fox. Diese haben nun also den Auftrag, den „Great Deal“ auszuhandeln, der der britischen Bevölkerung versprochen wurde.
Nur: Die Brexit-Protagonisten realisieren schmerzhaft dass der Vorgang nicht vergnügungssteuerpflichtig ist, die Begeisterung in der britischen Bevölkerung bereits verfliegt und der ganze Austrittsprozess so viele Jahre dauern wird, dass ihre gesamte politische Karriere davon in Beschlag genommen wird, viele Negativschlagzeilen während des Procederes inklusive. Bislang ist noch nicht einmal das Personal vorhanden. Das International Trade Ministerium hat derzeit erst 10% des angestrebten Mitarbeiterstabs rekrutiert. Ein weiterer Auszug aus dem Guardian:
Meanwhile, DExEU, as it is known, has hired – mainly from elsewhere in the civil service – 150 of the 250-300 total staff it is expected to employ, and reportedly has yet to move into its permanent home. With the civil service a fifth smaller since 2010, fast-stream recruits are being drafted in, but negotiators, lawyers, economists, regulatory experts and management consultants from the private sector will prove essential. They will not come cheap: experienced senior personnel from the likes of KPMG, PwC, Linklater’s and McKinsey cost up to £5,000 a day, recruitment consultants say, or will be seconded on annual salaries of up to £250,000. Some estimates suggest “full Brexit” may take 10 years and involve up to 10,000 people, not only in the new and other so-called “hot” departments such as foreign, home, environment and business, but across the civil service nationally, at an administrative cost of close to £5bn.
Es dauert also lang, viel länger als der Bevölkerung suggeriert wurde, und wird sehr teuer für das Vereinigte Königreich. Und damit sind noch gar nicht die Einbußen beim Wirtschaftswachstum gemeint, sondern schlicht die Kosten für den nötigen Beamten- und Beraterstab, den man für professionelle Verhandlungen benötigt.
Doch den Brexit-Politikern droht andererseits auch dann Ungemach, wenn sie sich zu lange Zeit lassen, um sich professionell auf die Verhandlungen vorzubereiten: Nigel Farage (neuerdings mit Schnurrbart) scharrt bereits mit den Hufen und hat verlautbart, dass er doch wieder in die aktuelle Politik einsteigt, wenn „nicht bald etwas passiert“.
Nach der Sommerpause wird es also wieder spannend beim Thema Brexit. Alle Beiträge zu Brexit hier.
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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Rechtsanwalt Schmeilzl und Solicitor Jelowicki sind Experten für deutsch-englisches sowie deutsch-amerikanisches Erbrecht und agieren auch in vielen Fällen als Nachlassabwickler (Executors & Administrators) für deutsch-britische oder deutsch-amerikanische Erbfälle.
Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Kanzlei Lyndales gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England). Bei Fragen rufen Sie gerne an: +49 941 463 7070.