Wo Richter noch Autorität haben
Im Common Law haben Richter eine andere Position als im deutschen Rechtssystem: Sie sind tendenziell noch freier und damit „mächtiger“ als ein deutscher Richter. Das beginnt schon damit, dass es im Ermessen eines englischen Zivilrichters steht, in jedem Einzelfall darüber zu entscheiden, ob und wieviel Anwaltskostenerstattung eine Partei von der anderen Partei erhält, wenn sie den Prozess gewonnen hat. Die im April 2013 in kraft getretene Reform der Civil Procedure Rules (Verfahrensregeln für Zivilprozesse) hat hier etwas mehr Klarheit geschaffen (Details zur Reform hier).
Sowohl das materielle Recht als auch das Prozessrecht sind viel weniger eindeutig festgelegt, als dies ein deutscher Jurist kennt und als selbstverständlich erachtet. Daher ist der Ausgang eines Prozesses in UK, erst recht in den USA, viel weniger vorhersehbar. Es ist viel mehr „up for legal debate“. In den USA kommt noch dazu, dass in der Regel nicht ein nüchterner Berufsjurist entscheidet, sondern häufig eine Jury – nicht nur in Strafprozessen, sondern auch in Zivilklagen. Dass es hier häufig mehr um Sympathie und Mitleid geht, als um nüchterne rechtliche Fakten, kennt man aus zahllosen Hollywood-Spielfilmen und Anwaltsserien. In UK ist das Jury-System daher zwischenzeitlich in der Praxis weitgehend abgeschafft (Details hier).
Übersicht über die Gerichte im Vereinigten Königreich
Einen Überblick über Her Majesty’s Court Service bietet zunächst das Justice Portal (Zivilrecht), die Regierungswebsite „Crime, Justice and the Law“ (Strafrecht), Wikipedia und das Judiciary Portal. Ein interessantes Video (hier) vermittelt einen guten Eindruck über das höchste Gericht, den UK Supreme Court, der einige Sitzungen übrigens live im Internet überträgt.
Hier haben wir bereits erklärt, wie man nun einen zivilrechtlichen Anspruch vor einem englischen Gericht einklagt oder wegen einer Forderung in UK die Zwangsvollstreckung betreibt.
Weitere Informationen zu Rechtsstreitigkeiten mit Briten oder vor britischen Gerichten, zur englischen Zivilprozessordnung, Prozessführung und Zwangsvollstreckung in UK in diesen Posts:
– Wie sieht eine Zivilklage in England aus?
– In englischen Rechtsstreit verwickelt?
– Der Sachverständigenbeweis im englischen Zivilprozess
– Schmerzensgeldreform in UK
– UK Zivilprozessordnung und Expertengutachten in England
– Anwaltliche Versicherung in UK” (solicitor’s undertaking)
– Mandant lügt im Zivilprozess, Anwalt haftet: Harte ZPO-Regeln vor englischen Gerichten
– Mal schnell Klage einreichen? Nicht in England
– Wie im Hollywood-Spielfilm: “You have been served!” (Zustellung in UK und USA)
– Sie wollen einen EU-Titel in Großbritannien vollstrecken? Wie gut sind Ihre Nerven?
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Das anglo-deutsche Anwaltsteam der Kanzlei Graf & Partner löst seit 2003 deutsch-britische Rechtsfragen. Die Litigation-Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) ist auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Rechtsanwalt Schmeilzl und Solicitor Jelowicki sind Experten für deutsch-englisches sowie deutsch-amerikanisches Erbrecht und agieren auch in vielen Fällen als Nachlassabwickler (Executors & Administrators) für deutsch-britische oder deutsch-amerikanische Erbfälle.