Praxistipps für deutsche Firmen, deren Manager und Berater

Deutsche Unternehmen, die sich in einem englischen Zivilverfahren wiederfinden, etwa weil sie naiv einen Vertrag mit englischer Gerichtsstandklausel unterschrieben haben, müssen sich also auf eine juristische Papierschlacht ungewohnten Ausmaßes sowie eine mehrtägige mündliche Verhandlung in England einstellen. Zudem auf Anwaltsrechnungen aus England, die man besser nur unter ärztlicher Aufsicht öffnet.

Der deutsche Rechtsanwalt und Master of Laws Bernhard Schmeilzl berät seit gut 20 Jahren deutsche Firmen im englischen Recht, insbesondere in englischen Zivilprozessen, vor allem großen Wirtschaftsverfahren. Als Experte für das englische Zivilprozessrecht hat er den einzigen Praxisleitfaden zum englischen Zivilprozess in deutscher Sprache geschrieben, der im Herbst 2023 beim BECK-Verlag erscheint.

Der Praxisleitfaden vermittelt deutschen Firmeninhabern, Geschäftsführern, Justiziaren in Rechtsabteilungen und externen Rechtsanwälten, die die Einladung „come to England to litigate“ annehmen möchten (oder müssen) ein realistisches Bild vom Ablauf eines englischen Zivilprozesses . Denn auf diese Reise muss gut vorbereitet sein, wer Schiffbruch vermeiden will.

Mit klarem Fokus auf Praxisrelevanz beantwortet der Leitfaden Fragen wie: Welche typischen Fehler muss man in der Prozessvorbereitung vermeiden? Zu welchem Zeitpunkt braucht man welchen Anwalt (solicitor, barrister, adjudicator, solicitor advocate)? Wann ist der beste Zeitpunkt für eine gütliche Einigung (settlement)? Wie bereitet man sich auf die mündliche Verhandlung vor?

Das Buch erklärt den Ablauf des englischen Zivilprozesses, zeigt die – teils verblüffenden – Unterschiede zwischen den Zivilprozessordnungen in Deutschland und England auf und macht die Leser mit den relevanten Akteuren – den englischen Richtern und Anwälten – vertraut. Was ist deren Hintergrund, Selbstverständnis und praktisches Arbeitsumfeld?

Schwerpunkte der Darstellung sind – neben den einzelnen Schritten des Verfahrens – die Beweisaufnahme mittels Zeugen und Sachverständigen, die im englischen Zivilprozess völlig anders abläuft als in Deutschland. Ein paar Beispiele?

  • Prozessparteien müssen der Gegenseite alle streitbezogenen Unterlagen offenlegen (disclosure), auch interne E-Mails zwischen Mitarbeitern, Besprechungsnotizen, Prüfprotokolle usw. Dies betrifft ausdrücklich auch Dokumente mit ungünstigem Inhalt und es besteht eine Pflicht, nach diesen Unterlagen und EDV-Dateien zu suchen (duty to search).
  • Zeugen müssen ihre Aussage bereits Monate vor der mündlichen Verhandlung in allen Details schriftlich niederlegen und deren Richtigkeit per förmlichem „statement of truth“ versichern. Vor Gericht werden die Zeugen dann vom gegnerischen Anwalt ins Kreuzverhör genommen.
  • Ein Zeugnisverweigerungsrecht von Ehegatten und Verwandten (wie in § 383 ZPO enthalten) kennt das englische Zivilprozessrecht nicht. Söhne und Töchter müssen – wenn vom Gericht geladen – gegen ihre Eltern aussagen und umgekehrt, ein Ehegatte gegen den anderen, die Schwester gegen ihren Bruder usw.
  • Sachverständige werden nicht vom Gericht bestellt, sondern von den Parteien selbst. Das ist aber keineswegs eine Einflugschneise für Gefälligkeitsgutachten, denn die Sachverständigen beider Parteien müssen dem Gericht ein untereinander abgestimmtes Gutachten vorlegen. Falls sie sich nicht in allen Punkten einigen können, müssen sie dem Gericht ausführlich schriftlich erläutern, woraus genau ihre verschiedenen Auffassungen resultieren. All dies bereits viele Wochen vor der mündlichen Verhandlung.
  • Die Prozessakte wird nicht vom Gericht geführt, sondern diese Verantwortung ist auf den Kläger bzw. dessen Anwalt ausgelagert. Dieser verpflichtet (inhaltlich abgestimmt mit dem Beklagten), frühestens sieben, spätestens drei Werktage vor Beginn der mündlichen Verhandlung eine komplette Prozessakte (trial bundle) einzureichen, in der Regel sowohl als Papierakte als auch als PDF, mag diese Akte auch mehrere tausend Seiten haben. Vollständigkeit und übersichtliche Aufbereitung (Inhaltsverzeichnis, Register, Summary) liegen in der Verantwortung der Klagepartei.
  • Zivilurteile werden in England im Volltext und mit Klarnamen der Parteien, Anwälte, Zeugen und Sachverständigen usw. auf öffentlich zugänglichen Urteilsdatenbanken veröffentlicht, ohne jede Anonymisierung (open justice principle). So manchen deutschen Kläger trifft es im Nachhinein als unangenehme Überraschung, dass Geschäftspartner und Wettbewerber nun alle Details eines Rechtsstreits im Internet nachlesen und daraus wertvolle Informationen über Geschäftsgebahren, Preise und Netzwerk eines deutschen Mittelständlers erfahren können. Englische solicitor weisen auf diesen Aspekt in der Regel nicht ausdrücklich hin, da es für diese selbstverständlich ist, dass Urteile für jedermann einsehbar im Volltext veröffentlicht werden.

Die Liste der gravierenden Unterschiede zwischen deutschem und englischem Zivilprozess ist lang und dieses Praxishandbuch bemüht sich, ein Grundverständnis für die Denk- und Arbeitsweise englischer litigation lawyer zu vermitteln. Eine Auswahl der praktisch relevantesten Formulare sowie Muster-Mandantenbriefe im Anhang des Buches vermitteln einen konkreten Eindruck der englischen Prozesspraxis und runden das Bild ab.


Weitere Informationen zu Rechtsstreitigkeiten mit Briten oder vor britischen Gerichten, zur englischen Zivilprozessordnung, Prozessführung und Zwangsvollstreckung in UK in diesen Posts:

– Wie sieht eine Zivilklage in England aus?

– In englischen Rechtsstreit verwickelt?

– Das angekratzte Ego des Gerichts-Sachverständigen

– Schmerzensgeldreform in UK

– UK Zivilprozessordnung und Expertengutachten in England

– Anwaltliche Versicherung in UK” (solicitor’s undertaking)

– Mandant lügt im Zivilprozess, Anwalt haftet: Harte ZPO-Regeln vor englischen Gerichten

– Mal schnell Klage einreichen? Nicht in England

– Wie im Hollywood-Spielfilm: “You have been served!” (Zustellung in UK und USA)

– Sie wollen einen EU-Titel in Großbritannien vollstrecken? Wie gut sind Ihre Nerven?

– Solicitors, Barristers, Advocates: Wer darf in England vor Gericht eigentlich was?

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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Rechtsanwalt Schmeilzl ist Experte für deutsch-englisches sowie deutsch-amerikanisches Prozessrecht sowie Erbrecht und agiert auch in vielen Fällen als Nachlassabwickler (Executors & Administrators) für deutsch-britische oder deutsch-amerikanische Erbfälle.

Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Kanzlei Buckles LLP gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England).

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