Und hat der anstehende Brexit hierauf Einfluss?
Wie ist das Handelsvertreterrecht im Vereinigten Königreich?
Prinzipiell sollte es auch in England und Schottland Ausgleichsansprüche für Handelsvertreter geben, da § 89b HGB die europäische Handelsvertreterrichtlinie umsetzt (präzise: Richtlinie des Rates der EG vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter; 86/653/EWG).
Für das Vereinigte Königreich (UK) wurde diese Handelsvertreterrichtlinie umgesetzt durch die Commercial Agents (Council Directive) Regulations 1993, die am 1.1.1994 in Kraft getreten sind. Inhaltlich sind die Regeln der englischen Regulations für Handelsvertreter (Commercial Agents) ähnlich, aber keineswegs völlig identisch mit den deutschen Bestimmungen. Was den Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB angeht, so ist ein solcher in England erheblich schwächer ausgestaltet und heißt auch nicht so. Section 8 der Commercial Agents (Council Directive) Regulations 1993 regelt dazu:
8. Subject to regulation 9 below, a commercial agent shall be entitled to commission on commercial transactions concluded after the agency contract has terminated if—
(a) the transaction is mainly attributable to his efforts during the period covered by the agency contract and if the transaction was entered into within a reasonable period after that contract terminated; or
(b) in accordance with the conditions mentioned in regulation 7 above, the order of the third party reached the principal or the commercial agent before the agency contract terminated.
Nach englischem Handelsvertreterrecht wird also auf konkrete Vertragsabschlüsse des Prinzipals mit den Kunden nach Ende des Handelsvertretervertrags abgestellt („commercial transactions concluded after termination of the agency agreement“), nicht – wie nach deutschem Handelsvertreterrecht – etwas abstrakter auf auf „erhebliche Vorteile“ des Prinzipals. Zum direkten Vergleich der Text des § 89b Handelsgesetzbuch:
(1) Der Handelsvertreter kann von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit: 1. der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat und 2. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. Der Werbung eines neuen Kunden steht es gleich, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, daß dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht.(2) Der Ausgleich beträgt höchstens eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung; bei kürzerer Dauer des Vertragsverhältnisses ist der Durchschnitt während der Dauer der Tätigkeit maßgebend.(3) Der Anspruch besteht nicht, wenn 1. der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis gekündigt hat, es sei denn, daß ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlaß gegeben hat oder dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit nicht zugemutet werden kann, oder 2. der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag oder 3. auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter ein Dritter anstelle des Handelsvertreters in das Vertragsverhältnis eintritt; die Vereinbarung kann nicht vor Beendigung des Vertragsverhältnisses getroffen werden.(4) Der Anspruch kann im voraus nicht ausgeschlossen werden. Er ist innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen.
Das englische Recht enthält in den Commercial Agents (Council Directive) Regulations 1993 auch keine Unabdingbarkeitsklausel, vgl. § 89b Abs. 4 HGB. Zwar kann auch nach englischem Recht die Abbedingung im Voraus unwirksam sein, es kommt aber auf die Umstände des Falles an.
Insgesamt hat der Commercial Agent nach englischem Recht somit eine tendenziell schwächere Stellung. Das wird voraussichtlich auch nach Umsetzung des Brexit so bleiben. Für (deutsche) Handelsvertreter, die entweder Kunden im Vertragsgebiet UK werben sollen oder für Handelsvertreter, die für einen in UK ansässigen Geschäftsherren (Prinzipal) tätig werden, macht es daher einen gewaltigen Unterschied, ob im Handelsvertretervertrag deutsches oder englisches Recht vereinbart wird.
Und man muss natürlich den Vertragstyp genau definieren: Für Vertriebsverträge (Distribution Agreements) gilt das Handelsvertreterrecht (und damit der Ausgleichsanspruch bei Vertragsbeendigung) von vornherein nicht. Das zentrale Unterscheidungskriterium zwischen Vertriebsvertrag und Handelsvertretervertrag (sowohl nach deutschem Recht als auch nach englischem Vertragsrecht) ist, mit wem der Kunde (Abnehmer) den Vertrag schließt. Der Vertriebspartner (Distributor) verkauft in der Regel selbst, der Handelsvertreter (Commercial Agent) vermittelt dem Geschäftsherrn lediglich die Möglichkeit des Vertragsabschlusses.
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