Zivilprozesse in England sind zehnmal so teuer als in Deutschland
Vorab der Tipp: Versuchen Sie es am besten zu vermeiden, überhaupt im Vereinigten Königreich klagen zu müssen, etwa indem Sie in Ihren Verträgen deutschen Gerichtsstand vereinbaren. Noch besser zusätzlich dadurch, dass Sie den Austausch der Vertragsleistung so gestalten, dass möglichst der Vertragspartner in Vorleistung gehen muss. Ein Prozess ist nämlich schon für Briten selbst kein Vergnügen (entsprechend unbeliebt sind die Anwälte im anglo-amerikanischen Raum), für Ausländer ist die Begegnung mit Her/His Majesty’s Courts and Tribunal System ein zwar interessantes, aber meist kompliziertes und teures Erlebnis. Falls ein Prozess in England doch einmal unvermeidbar ist, hier die wichtigsten Infos:
Wer im Englischen fit ist kann sich auch direkt auf dem staatlichen Bürgerinformationsportal Direct.gov.uk informieren. Eine weitere Zusammenfassung (ebenfalls in Englisch) finden Sie im offiziellen Informationsblatt EX301: „I’m in a Dispute, what can I do?„. Zu Thema Gerichtskosten ist auf der Justizwebsite das Leaflet EX50 (pdf download) abrufbar. Wer es noch genauer wissen will, kann sich hier die gesetzlichen Regelungen im Detail ansehen und den offiziellen 200-seitigen Kommentar zum englischen Prozessrecht wälzen, den Chancery Guide. Ist allerdings schwere Kost.
Gerichtskosten sind nicht das Problem, aber…
Die Gerichtskosten sind noch relativ niedrig und daher nicht die eigentliche Hürde. Problematischer sind die Anwaltskosten. Im Unterschied zu Deutschland gibt es in England keine verbindliche Anwaltsgebührenordnung. Englische Solicitors und Barristers (die eigentlichen Prozessanwälte) rechnen in der Regel nach Stundenaufwand ab (hourly fees). Es gibt aber auch die Optionen Pauschalhonorar (fixed fee) und sogar das – in Deutschland faktisch immer noch verbotene – Erfolgshonorar (no win no fee). Theoretisch gibt es auch Prozesskostenhilfe (Legal Aid), das kann man als Ausländer aber getrost gleich wieder vergessen.
Faktisch wird eine englische Anwaltskanzlei von einem deutschen Mandanten erst einmal einen Honorarvorschuss für fünf bis zehn Stunden verlangen. Der Stundensatz liegt bei einigermaßen guten Anwälten bei mindestens 90 GBP, in aller Regel (vor allem in London) deutlich darüber (in größeren Kanzleien auch gern weit jenseits der 300 GBP). Ein weiterer Unterschied zum deutschen Prozesskostensystem ist, dass in England die unterliegende Partei nicht automatisch die Anwaltskosten der Gegenseite ersetzen muss. Das Gericht kann das zwar anordnen, der Kläger kann aber – auch wenn er den Prozess gewinnt – trotzdem auf seinen Anwaltskosten (ganz oder zum Teil) sitzen bleiben. Die Details sind kompliziert. Wer es selbst lesen will, findet hier die relevanten Passagen der englischen Civil Procedure Rules.
Ähnlich dem deutschen Mahnverfahren kann man auch in England versuchen, seinen Anspruch im sog. „Money Claim Online“ geltend zu machen. Das empfiehlt sich aber nur – wie auch in Deutschland – bei sehr einfachen Sachverhalten.
Zur Sonderkonstellation, wenn der Schuldner ein Insolvenzverfahren plant oder schon eingeleitet hat und in England eine schnelle Restschuldbefreiung anstrebt ausführliche Informationen in diesem Artikel hier.
Fazit: Nur hohe Streitwerte lohnen die Mühe
Bei Gegenstandswerten unter 5.000 Pfund (sog. „small money claims„) wird es sich nur selten rechnen, einen Anspruch einzuklagen, insbesondere werden sie kaum einen englischen Anwalt finden, der hier begeistert mit Ihnen in die Schlacht zieht (es sei denn Sie zahlen ihm ein hohes Honorar, auf dem Sie dann aber auch bei erfolgreichem Prozessausgang mindestens zum Teil sitzen bleiben). Für die Mutigen und/oder Abenteuerlustigen unter Ihnen: Für solche Klagen bis 5.000 Pfund brauchen Sie (wia auch vor deutschen Amtsgerichten) keinen Anwalt, sondern können es auch selbst versuchen. In dem Fall: God bless you and good luck!
Bei höheren Gegenstandswerten sollten Sie sich einen englischen Anwalt suchen, der Ihnen die Kosten vorab aufschlüsselt und das Risiko darlegt (wofür der Anwalt aber in der Regel auch schon ein Honorar verlangen wird). Auf Basis sdieser Erstanalyse ollten Sie dann ein Honorar für den Prozess vereinbaren. Je höher der Gegenstandswert und je besser die Erfolgsaussichten, desto besser Ihre Verhandlungsposition.
In der Regel haben Sie als Mandant bessere Chancen, eine englische Kanzlei für Ihren Fall zu gewinnen, wenn ein deutscher Anwalt mit guten Englischkenntnissen sowie Hintergrundwissen über das englische Rechtssystem dort anfragt und den Sachverhalt bereits juristisch sortiert und gut aufbereitet schriftlich darstellt. Graf & Partner arbeitet auf diese Weise seit mehreren Jahren mit der Londoner Kanzlei Lyndales zusammen. Wenn wir die Kollegen bei Lyndales beauftragen, beginnen diese sofort, weil sie wissen, dass wir den Fall sowie den Mandanten bereits vorab geprüft haben und sie zudem auch ihre Gebühren sicher bekommen. Trotz allem bleibt es dabei: Prozessieren in England ist aufwendiger und teurer als in Deutschland.
Weitere Informationen zur englischen Zivilprozessordnung und zur Prozessführung und Zwangsvollstreckung in UK und USA in diesen Posts:
– Wie sieht eine Zivilklage in England aus?
– UK Zivilprozessordnung und Expertengutachten in England
– Anwaltliche Versicherung in UK” (solicitor’s undertaking)
– Mandant lügt im Zivilprozess, sein Anwalt haftet: Harte ZPO-Regeln vor englischen Gerichten
– Mal schnell Klage einreichen? Nicht in England
– Sie wollen einen EU-Titel in Großbritannien zwangsvollstrecken? Wie gut sind Ihre Nerven?
Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Rechtsanwalt Schmeilzl und Solicitor Jelowicki sind Experten für deutsch-englisches sowie deutsch-amerikanisches Erbrecht und agieren auch in vielen Fällen als Nachlassabwickler (Executors & Administrators) für deutsch-britische oder deutsch-amerikanische Erbfälle.
Falls Sie bei einer britisch-deutschen oder amerikanisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Partnerkanzlei Buckles gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England).
[…] Aber (wann) lohnt es sich überhaupt, den Anspruch eines deutschen Mandanten in England einzuklagen? Ab welchem Gegenstandswert stehen die Kosten in einigermaßen vernünftigem Verhältnis zum Aufwand? Die Kanzlei Graf & Partner, die zusammen mit der Londoner Kooperationskanzlei Lyndales Solicitors seit langem solche deutsch-britischen Mandate betreut, hat auf dem Portal Cross-Channel-Lawyers die wichtigsten Einstiegsinfos zusammengestellt: “Forderungen in England einklagen: eine Übersicht”. […]