Kein Pflichtteil bei Rechtswahl im Testament? Laut BGH ist Umgehung nicht so einfach!
Hatte der Verstorbene – egal welche Staatsbürgerschaft er besaß – vor seinem Tod den gewöhnlichen Aufenthalt (Lebensmittelpunkt) in Deutschland, gilt das deutsche Erbrecht, inklusive der Regelungen zum Pflichtteil.
Pflichtteil aushebeln durch Wahl eines ausländischen Erbrechts?
Nun gestattet aber die EU-Erbrechtsverordnung, dass jemand, der ein Testament erstellt, darin das Erbrecht seines „Heimatstaates“ wählen darf, also das Recht des Landes, dessen Nationalität er besitzt.
Art 22 Abs. (1) EU-ErbVO: Eine Person kann für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.
Will also zum Beispiel ein Engländer oder US-Amerikaner, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, dennoch nicht, dass er durch dei deutschen Pflichtteilsregeln gebunden ist, wählt er im Testament einfach das Erbrecht seine Heimatstaates und setzt jemand anderen zum Erben ein. Schon haben die Kinder keinen Anspruch auf Pflichtteil- und Pflichtteilsergänzung, sondern gehen leer aus! Oder?
BGH schränkt das Recht der Wahl des Erbstatuts ein
Nun, ganz so einfach ist es in der Praxis dann doch nicht, denn der Bundesgerichtshof entschied am 29.6.2022 (Az. IV ZR 110/21), dass diese Umgehung des Pflichtteilsanspruchs durch Rechtswahl gegen den sogenannten „ordre public“ verstoßen kann, also gegen so wichtige Grundprinzipien des deutschen Rechts (Erbrecht ist grundrechtlich geschützt, Art. 14 GG), dass die Rechtswahl jedenfalls hinsichtlich des Pflichtteilsrechts keine Wirkung entfaltet. Die Unwirksamkeit der Rechtswahl greift laut BGH „jedenfalls“ dann ein, wenn „bei einem Sachverhalt hinreichend starker Inlandsbezug“ vorliegt.
Im Fall, den der BGH zu entscheiden hatte, war der Testamentsersteller zwar britischer Staatsbürger, lebte aber seit vielen Jahrzehnten ausschließlich in Deutschland, hatte sein Vermögen in Deutschland und auch das den Pflichtteil verlangende Kind war Deutscher mit Wohnsitz in Deutschland. Mehr „Inlandsbezug“ des Sachverhalts geht also nicht. Außer der britischen Staatsbürgerschaft des Testamentserstellers war es ein rein deutscher Erbfall. Anders formuliert: Es gab kaum einen vernünftigen Grund für den Erblasser, in seinem Testament englisches Erbrecht zu wählen.
Je enger die Beziehung des Testamentserstellers zu Deutschland ist, desto kleiner ist die Chance, die deutschen Pfflichtteilsregeln durch einfache Rechtswahlklausel im Testament (choice of law clause) erfolgreich auszuhebeln.
Ob der BGH aber auch so entscheidet, wenn sich in einem Fall das zu vererbende Vermögen und vor allem die Kinder in UK befinden, lässt die Entscheidung offen. Trotz des BGH-Urteils muss man also jedenfall individuell analysieren und bewerten.
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