Typischer Erbstreit unter Geschwistern: Darf man Kinder beim Erbe ungleich behandeln?
Prinzipiell müssen Eltern ihre Kinder im Testament natürlich nicht gleich behandeln. Die Eltern können – wenn Sie das so wollen – sehr wohl dem einen Kind mehr vererben als dem anderen. Ja, sie können sogar ein Kind ganz enterben, ohne dafür einen Grund nennen zu müssen (die Grenze ist immer der Pflichtteilsanspruch des Kindes).
Anders kann es sein, nachdem ein Elternteil verstorben ist
In der Praxis wollen die meisten Eltern, dass ihre gemeinsamen Kinder ungefähr gleich viel erben. Daher ist der Klassiker der Testamentsgestaltung bei Ehepaaren mit gemeinsamen Kindern ein Berliner Testament mit einem Wortlaut wie diesem hier:
„Wir setzen uns hiermit gegenseitig beim Tod des ersten von uns zu Alleinerben ein. Beim Tod des zweiten von uns erben unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen.“
Darf der länger lebende Elternteil das Testament dann später ändern, also vom gemeinsamen Willen abweichen? Darf also der länger lebende Elternteil das Berliner Testament einseitig abändern, wenn eines der Kinder später „in Ungnade fällt“.
Ein einfaches Beispiel: Ein Ehepaar mit zwei Kinder erstellt ein klassisches Berliner Testament, der Vater verstirbt im Jahr 2018, die Mutter ärgert sich darüber, dass eines der Kinder nie anruft oder zu Besuch kommt. Die Mutter möchte daher das andere Kind zum Alleinerben einsetzen, obwohl die Eltern – als beide noch lebten – die Kinder zu gleichen Teile (also 50/50) bedenken wollten.
Geht das einfach so? Nein, das geht nur, wenn das Berliner Testament dem länger lebenden Ehegatten ausdrücklich das Recht einräumt, nach dem Tod des ersten Elternteils die Erbquote der Kinder abzuändern. Der zuerst verstorbene Ehegatte wollte durch das Berliner Testament ja gerade sicherstellen, dass der länger Lebende nicht jemand völlig anderen zum Erben einsetzt, etwa einen neuen Ehepartner oder den FC Bayern München.
Dann schenke ich halt zu Lebzeiten alles an mein Lieblingskind!
Was aber, wenn der länger lebende Ehegatte einfach zu Lebzeiten dem „braven“ Kind hohe Geldbeträge schenkt oder eine Eigentumswohnung überträgt? Dann bleibt das Testament zwar im Wortlaut wie es ist, nur die Erbmasse am Todestag wäre halt geringer, sodass das benachteiligte Kind zwar nach wie vor die Hälfte (oder ein Drittel o.ä.) erbt, aber aus einer viel geringeren Erbmasse. Böswillige Schenkungen werden ausgeglichen Sie ahnen es: Solche einseitigen Schenkungen sind nicht zulässig, denn sie wären im Ergebnis eine Umgehung des von beiden Eltern gemeinsam erstellten Berliner Testaments und daher „böswillig“. In der juristischen Literatur spricht man auch von benachteiligenden Schenkungen bzw. beeinträchtigenden Schenkungen. Das benachteiligte Kind kann in solchen Fällen von seiner (großzügig beschenkten) Schwester oder seinem Bruder den Anteil der Schenkung herausverlangen, den er oder sie ohne diese „böswillige Schenkung“ geerbt hätte (§ 2287 BGB).
Interessant ist dabei, dass dieser Anspruch sofort eingeklagt werden kann. Das benachteiligte Kind muss diesen Ausgleich also nicht mühsam und langwierig als Teil der Gesamterbschaftsauseinandersetzung geltend machen, was in einer zerstrittenen Erbengemeinschaft ja gut und gerne mehrere Jahre dauern kann. Vielmehr kann man den Anspruch wegen „böswilliger, benachteiligender Schenkung“ isoliert und sofort geltend machen.
Die Details sind kompliziert, aber der Merksatz lautet: Sobald der erste Ehegatte (Elternteil) verstorben ist, muss der länger lebende Elternteil die Kinder gleich behandeln, wenn das im Testament so angeordnet ist.
Die Broschüre „Fakten zum Erbrecht“ steht auf der Kanzleiwebsite unter zum Download.