Mehr Kindesentziehungsfälle zwischen Deutschland und Großbritannien wegen Brexit
Wenn ein Elternteil brutal Fakten schafft und sein Kind ohne Einwilligung des anderen Sorgeberechtigten ins Ausland bringt, nennen Juristen das „grenzüberschreitende Kindesentziehung“, in Deutschland strafbar nach §235 StGB (Entziehung Minderjähriger).
Das gleiche gilt, wenn der andere Sorgeberechtigte zwar zunächst einer Auslandsreise zugestimmt hat, etwa für einen Urlaub oder ein Schuljahr im Ausland, der ausländische Elternteil dann aber die geplante Rückreise verhindert, das Kind also entgegen der Absprache nicht nach Deutschland zurück bringt, sondern eigenmächtig entscheidet, dass das Kind nun dauerhaft im Ausland leben soll.
Solche Fälle zu verhindern oder bereits erfolgte Kindesentziehungen rückgängig zu machen , ist das Ziel des „Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung“ (HKÜ) vom 25.10.1980. Weitere Informationen hierzu auf der Website des Auswärtigen Amtes (hier) sowie auf der Website des Bundes-Justizministeriums (Hinweise zur Rückführung entführter Kinder und zu grenzüberschreitenden Umgangs- und Sorgerechtskonflikten).
Entziehung von und nach Großbritannien
Eine Länderkonstellation, an die man beim Thema internationale Kindesentführung eher nicht spontan als erstes denkt, ist Deutschland und Großbritannien. Das ist allerdings ein Trugschluss. Denn laut offizieller „Statistik über Verfahren auf der Grundlage des Haager Kindesentführungsübereinkommens“ (zum Download hier) sind Kindesentziehungen mit Bezug zu England & Wales schon seit längerer Zeit ganz vorne mit dabei. Allein im Jahr 2018 waren 84 Kinder betroffen.
Brexit macht internationale Familien nervös
In 2019 und vor allem im Jahr 2020 dürften diese Zahlen ganz erheblich steigen. Unsere auf deutsch-britisches Recht spezialisierte Kanzlei Graf & Partner erhält nämlich seit einigen Monaten sehr viele Anfragen zu einem Thema, das für uns früher kaum relevant war. Väter oder Mütter aus deutsch-britischen Familien wollen ganz konkret wissen:
„Darf ich mit meinem Kind nach Großbritannien zurückziehen, auch wenn mein Mann (meine Frau) damit nicht einverstanden ist?“
Die Antwort ist natürlich nein! Wenn die Eltern gemeinsames Sorgerecht haben, müssen sie diese Entscheidung gemeinsam treffen. Sind deutsch-britische Paare wegen Brexit uneinig, wo künftig der gemeinsame Lebensmittelpunkt der Familie sein soll, darf eben gerade nicht einer alleine Fakten schaffen. Können sich die Eltern nicht darauf verständigen, wer wo wohnt und zur Schule geht, dann muss ein Gericht im Land des bisherigen Aufenthalts hierüber per Beschluss entscheiden.
Oft meint es der Elternteil, der die Kinder mit „in die Heimat“ nimmt, durchaus gut und ist davon überzeugt, dass es den Kindern dort am besten geht. Trotzdem: Kinder einfach per Nacht-und-Nebel-Aktion von Deutschland ins Ausland zu verbringen, ist eine ganz schlechte Idee, auch strategisch. Denn wer sich hier als Elternteil „ins Unrecht setzt“, der wird es später bei Gericht extrem schwer haben, einen solchen internationalen Umzug dann offiziell genehmigt zu bekommen. Er (oder sie) ist als die „böse“ Partei gebrandmarkt, die gegen die Gesetze verstoßen hat. So kann man im schlimmsten Fall sogar sein (Mit-)Sorgerecht oder sogar sein Besuchsrecht verspielen.
Anders als manche Eltern meinen, bringt es daher überhaupt keinen Vorteil, die Kinder schon mal an den künftigen Wunschwohnort zu verbringen, denn das Grundprinzip laut Haager Übereinkunft ist nun mal die sofortige Rückführung des Kindes an den Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts.
Englische Anwältin für Kindesentziehungen
Wurde ein Kind bereits gegen den Willen eines Sorgeberechtigten nach England entführt oder – umgekehrt – von England nach Deutschland, beraten wir in Zusammenarbeit mit unserer englischen Partnerkanzlei Buckles Solicitors.
Eine ausgewiesene Expertin für internationales Kindschaftsrecht, insbesondere für grenzüberschreitende Entziehungen und Kindesentführungen, ist Rechtsanwältin Paula Piquer Ruz in London, zugelassen sowohl als Solicitorin in England & Wales sowie auch als spanische Abogada.
Mehr zum Thema Kindesentziehung (child abduction) aus Sicht des englischen Rechts auf dem Blog unserer Partnerkanzlei Buckles.
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Cross Channel Lawyers ist ein Netzwerk von Anwälten, die auf deutsch-britische und deutsch-amerikanische Rechtsfälle spezialisiert sind. Gegründet 2003 von Graf & Partner und deren Prozessrechtsabteilung. Die Familienrechtsabteilung berät internationale Paare – selbstverständlich auch LGBT-Paare – bei Fragen rund um die Themen Eheverträge und – wenn nötig – internationale Scheidung. Rechtsanwalt Schmeilzl verfasst den Länderbericht „Familienrecht England & Wales“ im BGB-Kommentar des NOMOS Verlags und ist ausgewiesener Fachmann insbesondere für die Themen deutsch-englischer Ehevertrag sowie deutsch-britische Scheidung. Mehr zum englischen Familienrecht hier
Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Partnerkanzlei gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England), Telefon +49 (0) 941 463 7070.