Wofür steht bei englischen Anwälten das Kürzel LBA? Gibt es in England ein Mahnbescheidsverfahren?
In Großbritannien eine Geldforderung oder gar einen nicht-monetären Anspruch einzuklagen, ist meist deutlich aufwendiger, umständlicher und teurer als in Deutschland. Nicht nur weil man (außerhalb der Small Claims Procedure) meist zwei Anwälte braucht, nämlich einen Solicitor und einen Barrister, sondern auch weil man bereits vor Klageerhebung strenge Formvorschriften einhalten muss (Pre Action Protocol), um keine Klageabweisung oder einen verärgerten Zivilrichter zu riskieren. Einen Anspruch bei Gericht einzuklagen (going to court) wird in England und Schottland, im Unterschied zu Deutschland, nämlich als allerletztes Mittel (last resort) gesehen. Ein englischer Richter wird äußerst sauer, wenn er den Eindruck erlangt, dass der Kläger vorschnell Klage erhoben hat, ohne sich zunächst sehr intensiv um eine außergerichtliche Einigung zu bemühen. Details zur englischen Zivilprozessordnung und den vorprozessualen Pflichten der Prozessparteien und ihrer Anwälte hier.
Wer also einen säumigen Schuldner in UK hat, den er notfalls später auch in UK verklagen muss, sollte von Anfang an, also schon bei den ersten Mahnschreiben nach England, die Vorschriften der englischen Civil Procedure Rules berücksichtigen, ebenso die dortigen anwaltlichen Gepflogenheiten, wie man in UK einen sogenanten „letter before action“ (LBA) formuliert.
Ein Formulierungsbeispiel für ein typisches englisches Mahnschreiben eines Solicitors an den Schuldner lautet wie folgt:
Claim … / Payment entitlement …
Dear Sirs,
We act on behalf of … in relation to the above matter. As you are fully aware… (Beschreibung des Sachverhalts und Herleitung des Anspruchs).
In light of the above, we do request that you pay the sum of GBP ……. by no later than Monday, the 6th of March 20…. directly into our bank account …
Should we not receive the full amount by this date, we will have no alternative but to commence legal proceedings in order to recover the full amount that is due, the costs of which we will also seek against you. We await hearing from you as a matter of urgency. In the meantime, all of our client’s rights remain fully reserved.
Yours faithfully,
Graf & Partners LLP
Antwortet der Schuldner hierauf nicht oder bestreitet er den Anspruch , dann würden in Deutschland viele Gläubiger bzw. deren Anwälte bereits zur Klage übergehen. Ganz anders in Großbritannien. Dort muss der Gläubiger dem Schuldner vor Klageerhebung nochmals sehr detailliert darlegen, worauf er den Anspruch stützt, die wesentlichen Dokumente beifügen und sonstige Beweismittel benennen, ausdrücklich die Erhebung einer Klage ankündigen und dem Schuldner eine letzte Frist von mindestens zwei Wochen, in komplexen Fällen bis zu drei Monaten setzen. Details hier.
Es gibt in UK zwar die Möglichkeit, Geldforderungen per „Money Claim Online“ direkt selbst gerichtlich geltend zu machen, indem man ein Formular (N1 Claim Form) ausfüllt, wenn der Anspruchsgegner aber widerspricht, ist man – wie auch beim deutschen Mahnbescheidsverfahren – genau so weit wie vorher.
Im Ergebnis hilft also nur: Wo dies möglich ist, die Zuständigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit des deutschen Rechts zu vereinbaren. Wenn das nicht geht, in den Verträgen darauf achten, dass man möglichst nicht in Vorleistung geht. Wenn auch das nicht funktioniert: Die Formvorschriften des englischen Zivilprozessrechts beachten und sich eine hohe Frustrationstoleranz zulegen, denn es wird lange dauern und es werden teure Anwaltsrechnungen eintrudeln. Von den ungewöhnlichen Geplogenheiten bei der Beaufragung englischer Anwälte ganz abgesehen (mehr dazu hier).
Übrigens: Mit Verzugszinsen und der Erstattung vorprozessualer Anwaltskosten ist es in England ebenfalls viel komplizierter als in Deutschland. Ein Zinsanspruch ist in UK erheblich seltener gegeben und schwerer durchzusetzen. Auch das spricht für die Vereinbarung des deutschen Rechts mit seinen klaren Regeln zum gesetzlichen Verzugszins in Höhe von 5 oder sogar 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz in § 288 BGB. Vorsicht für Anwälte, die mit englischensprachigen Mandanten korrepondieren und hierbei auf die englische Übersetzung des BGB der Juris GmbH verwenden: In der englischen Fassung ist noch die alte Version des § 288 BGB (vor 2014) enthalten!
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Das anglo-deutsche Anwaltsteam der Kanzlei Graf & Partner spezialisiert sich seit 2003 auf deutsch-britische Rechtsfragen. Die Prozessabteilung GP Chambers berät und vertritt deutsche wie britische Unternehmen in Arbitrationverfahren wie in Gerichtsprozessen.
In geeigneten Fällen führen die Anwälte und Solicitors von Graf & Partner auch Mediationen durch, falls gewünscht auch unterstützt durch Dritte, etwa Vertreter von deutsch-britischen Handelskammern oder Branchenexperten.
Weitere Informationen zu Rechtsstreitigkeiten mit Briten oder vor britischen Gerichten, zur englischen Zivilprozessordnung, Prozessführung und Zwangsvollstreckung in UK in diesen Posts:
– Wie sieht eine Zivilklage in England aus?
– Schmerzensgeldreform in UK
– UK Zivilprozessordnung und Expertengutachten in England
– Anwaltliche Versicherung in UK” (solicitor’s undertaking)
– Mandant lügt im Zivilprozess, Anwalt haftet: Harte ZPO-Regeln vor englischen Gerichten
– Mal schnell Klage einreichen? Nicht in England
– Wie im Hollywood-Spielfilm: “You have been served!” (Zustellung in UK und USA)
– Sie wollen einen EU-Titel in Großbritannien vollstrecken? Wie gut sind Ihre Nerven?
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