Nach englischem Erbrecht ist das gut möglich
Deutsche Anwälte haben meist im Hinterkopf abgespeichert: In Common Law Rechtsordnungen gibt es keinen Pflichtteilsanspruch. Und wenn, dann höchstens für den enterbten Ehepartner. Nun, das ist nur auf den ersten Blick richtig. Einen automatisch immer greifenden Pflichtteil mit fester Quote kennt das englische Recht tatsächlich nicht.
Der englische „Inheritance Act 1975“
Aber: Der in England und Wales geltende Inheritance Act 1975 eröffnet die Möglichkeit, dass nahe Angehörige, aber auch zum Beispiel nicht-eheliche Lebenspartner und Stiefkinder, unter bestimmten Voraussetzungen einen Geldanspruch verlangen können. Was den Personenkreis der Berechtigten angeht, ist der Inheritance Act also sogar weiter als das deutsche Pflichtteilsrecht.
Der weitere Clou: Jeder, der vom Erblasser vor dessen Tod „ganz oder teilweise unterhalten“ (wholly or partially maintained) wurde, kann ebenfalls einen Anspruch gegen den Nachlass geltend machen.
In einem echten Fall unserer Kanzlei hatte der englische Erblasser die letzten 10 Jahre vor seinem Tod eine heimliche Beziehung zu einer Geliebten, für deren Apartment in London er monatlich die Miete bezahlt hat.
Die Geliebte und deren englische Solicitors waren sich nun nicht zu schade, drei Wochen nach dem Tod des großzügigen Gentleman dessen Witwe (die Alleinerbin) anzuschreiben und mitzuteilen, dass die Geliebte natürlich davon ausgeht, dass die Londoner Wohnung auch weiterhin aus dem Nachlass bezahlt wird. Der Ausgang der Vergleichsverhandlungen ist aktuell noch offen, aber die Geliebte wird wohl etwas bekommen, denn dass englische Gericht würde ihr sehr wahrscheinlich einen Inheritance Act Claim zusprechen.
Wer es immer noch nicht glauben kann, findet genauere Hintergründe auf dem Blog Englischesrecht.de hier: https://www.englischesrecht.de/blog/kennt-das-englische-erbrecht-einen-pflichtteilsanspruch