Ehegatten stehen in England besser, Geschwister deutlich schlechter
Wenn auf einen Erbfall (ganz oder teilweise) das englische Recht anwendbar ist und der Erblasser kein wirksames Testament hinterlassen hat, darf man nicht automatisch annehmen, dass die Verteilung des Erbes unter den gesetzlichen Erben genau so erfolgt wie in Deutschland. Das Ergebnis ist zwar manchmal ähnlich, aber selten identisch. In manchen Fällen hat sich das englische Recht auch ganz anders entschieden als das deutsche BGB, vor allem was Ehegatten und Geschwister des Verstorbenen betrifft.
Die drei in der Praxis wichtigsten Unterschiede sind:
- Der überlebende Ehegatte steht sowohl gegenüber den Kindern als auch gegenüber den Eltern und Geschwistern des Verstorbenen nach den englischen „Intestacy Rules“ besser da als nach den in Deutschland geltenden Regeln. Details hier.
- Die Geschwister des Erblassers stehen schlechter. Sie erben – anders als in Deutschland – nur, wenn beide Eltern bereits vorverstorben sind. Hatte der Erblasser also keine Kinder und ist zum Todeszeitpuntk auch nicht verheiratet (ledig, geschieden, verwitwet), so erben dessen Eltern zu gleichen Teilen. Ist ein Elternteil vorverstorben, so rücken nach deutschem Erbrecht die Kinder dieses Elternteils nach (also die Geschwister des Erblassers, § 1925 III BGB). In England dagegen erbt in dieser Fallkonstellation zunächst der noch lebende Elternteil alles allein, die Geschwister gehen leer aus.
- Halbgeschwister stehen eine Ranordnung hinter Vollgeschwistern: Ein für den deutschen Erbrechtler befremdlicher Unterschied im Recht der gesetzlichen Erbfolge ist, dass nach englischem Erbrecht zwischen Halbgeschwistern (half-blood siblings) und Vollgeschwistern (full-blood siblings) unterschieden wird. Sind letztere vorhanden, gehen Halbgeschwister leer aus (Details hier). Das deutsche Erbrecht unterscheidet hier nicht.
Übrigens spreche ich hier bewusst von englischem Recht, denn Schottland und Nordirland haben ihre eigenen Regeln zur gesetzlichen Erbfolge (die Republik Irland sowieso). Dieser Beitrag betrifft also nur Erbfälle, für die das Recht von England und Wales gilt.
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