Der Generalvorbehalt englischer Anwälte in Mails und Briefen
Privilegierte Kommunikation bei Vergleichsverhandlungen (without prejudice negotiations)
Nach den Regeln der englischen Zivilprozessordnung (Civil Procedure Rules) sind die Parteien eines Zivilprozesses in jeder Phase des Rechtsstreits gehalten, eine gütliche Einigung anzustreben. Wie solche Vergleiche konkret geschlossen und formell dokumentiert werden, ist in diesem Post erklärt:
„Zauberspruch“ macht alle Briefe und Mails geheim
Um solche Vergleichsgespräche zu erleichtern, gewährt das englische Recht eine Privilegierung für die Kommunikation zwischen den Parteien (bzw. deren Anwälten), die im Rahmen von Einigungsversuchen stattfindet („without prejudice communications“). Privilegierung bedeutet hier Vertraulichkeit: Die Gegenseite (der Empfänger eines solchen Vergleichsangebots) darf solche Äußerungen oder Schriftstücke später vor Gericht nicht gegen die sie äußernde Partei verwenden, falls die Vergleichsverhandlungen scheitern.
Spätestens ab dem Zeitpunkt, in dem eine Partei den letter before claim verschickt (Details in diesem Post), versehen solicitors ihre Kommunikation (Briefe, E-Mails, Faxe, Entwürfe von Vergleichsvereinbarungen usw.) mit dem Betreff „without prejudice (save as to costs)“. Dies hat eine doppelte Funktion:
- “without prejudice“ bedeutet, dass alle Einlassungen, Statements, Angebote etc. die im Rahmen von Vergleichsverhandlungen erfolgen, vom Gegner – falls die Vergleichsverhandlungen scheitern – nicht im Prozess vorgetragen werden dürfen. Sie sind „privileged“, ähnlich wie Informationen, die dem Anwaltsgeheimnis unterfallen. Die Rechtsfolgen gehen also weit über die der in Deutschland gebräuchlichen Klausel „ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht, allein unter prozessökonomischen Erwägungen“ hinaus.
- „save as to costs“ bedeutet, dass man sich aber trotzdem vorbehält, die für diese Vergleichsverhandlungen aufgewendete Arbeitszeit später im Kostenverfahren geltend zu machen, unabhängig vom konkret diskutierten Inhalt.
Der „Zauberspruch“ wird viel zu oft verwendet
Allerdings hat sich unter den englischen solicitors in der Praxis die schlechte Angewohnheit etabliert, diese Klausel inflationär zu gebrauchen, also so gut wie jede vorprozessuale Kommunikation mit diesem Betreff zu versehen, auch wenn der Brief oder die Mail gar nicht im Zusammenhang mit Einigungsversuchen steht. Dies ist eine ärgerliche und verwirrende Unsitte, denn wirklich privilegiert sind Äußerungen (auch mündliche), schriftliche Kommunikation und ausgetauschte Dokumente eben nur, wenn diese im Rahmen echter Vergleichsverhandlungen erfolgen („communications which are made with the genuine intention of seeking settlement“; „there must be a bona fide attempt to resolve a dispute“).
Wenn solicitors, wie in der Praxis häufig, jede vorprozessuale Mail mit diesem Betreff versehen, auch wenn es sich nur um eine Zurückweisung des Anspruchs oder um die Darstellung der eigenen Rechtsposition handelt, hat dies keine privilegierende Wirkung, sondern führt später eher zur Verärgerung des englischen Gerichts.
DER TEXT IST EIN GEKÜRZTER AUSZUG AUS DEM PRAXISHANDBUCH „DER ZIVILPROZESS IN ENGLAND“, KAPITEL „DIE PHASEN DES ZIVILPROZESSES: VERGLEICHSVERHANDLUNGEN“.
Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl, Master of Laws, ist Experte für deutsch-englisches Prozessrecht sowie internationales Erbrecht. Er berät und vertritt deutsche Unternehmen und wohlhabende Privatpersonen in grenzüberschreitenden Rechtsfällen, insbesondere bei deutsch-britischen Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen, komplexen Erbfällen und internationalen Gerichtsverfahren. Er ist Autor des im Winter 2023/2024 erscheinenden Praxishandbuchs Der Zivilprozess in England
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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Rechtsanwalt Schmeilzl ist Experte für deutsch-englisches sowie deutsch-amerikanisches Prozessrecht sowie Erbrecht und agiert auch in vielen Fällen als Nachlassabwickler (Executors & Administrators) für deutsch-britische oder deutsch-amerikanische Erbfälle.
Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors unserer Partnerkanzleien gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England).