Die verwirrende Vielfalt juristischer Fachbegriffe im Erbrecht der USA
Wer sich mit dem Erbrecht der USA beschäftigt, stellt bald fest: Es gibt gar kein Erbrecht „der USA“, sondern vielmehr jeweilige Erbrechtsvorschriften der einzelnen Bundesstaaten. Und diese unterscheiden sich zum Teil gewaltig. Schon bei der Terminologie. Die Erbscheine heißen nicht überall gleich, ja nicht einmal die Nachlassgerichte heißen überall in den USA „Probate Court“. In New York etwa heißen sie Surrogate’s Court. Da muss man als deutscher Erbrechtsanwalt erst mal drauf kommen, sonst googelt man vergeblich nach dem in USA zuständigen Nachlassgericht.
Warum ist es überhaupt wichtig, die korrekten juristischen Fachbegriffe zu verwenden? Nun, erstens hängt es von der Sachverhaltskonstellation ab, welche Formulare man für den Erbscheinsantrag verwenden muss. Zweitens führt es nicht selten zu folgenschweren Missverständnissen, wenn ein deutscher Erbrechtsanwalt in der Korrespondenz mit dem US-amerikanischen Gericht oder einem Anwaltskollegen den falschen Begriff verwendet. Dann geht der Kollege oder das Gericht nämlich oft von einem unzutreffenden Sachverhalt aus.
Wie nennt man in den USA denjenigen, der erbt?
Aus Sicht des deutschen Erbrechtlers klingt die Frage albern. In den anglo-amerikanischen Rechtsordnungen gibt es aber ja streng genommen keinen „Erben“ nach deutschem Verständnis. Vielmehr wird der Nachlass in diesen Common Law Staaten von einem sogenannten „Personal Representative“ (also einem „Vertreter des Verstorbenen“) in Besitz genommen und verwaltet. Das kann einer der Begünstigten selbst sein, muss aber nicht. In der Praxis, vor allem in UK, sind das oft die Anwälte (Solicitors) die das Testament erstellt haben. Diejenigen, die wirtschaftlich das Erbe erhalten, nennt man in England und Wales „beneficiaries„. Der Begriff „heir“ (Erbe) wird im englischen Erbrecht nicht verwendet. Falls jemand im Vereinigten Königreich von einem „heir“ spricht, dann meint er vermutlich den Thronanwärter der Königsfamilie (heir to the throne).
In den USA ist die erbrechtliche Fachterminologie wiederum anders als im Vereinigten Königreich. Zwar spricht man auch in den USA von einem Personal Representative (auch Personal Estate Representative) als Überbegriff für Executors (im Testament bestimmte Testamentsvollstrecker) und Administrators (vom Gericht bestellte Nachlassabwickler). In den meisten Bundesstaaten, zum Beispiel in Kalifornien, unterscheidet man aber begrifflich zwischen zwei Arten von Begünstigten:
Als „heir“ oder auch „heir-at-law“ bezeichnet man nach dem Erbrecht Kaliforniens (und vieler weiterer USA-Bundesstaaten) diejenigen Verwandten (relatives; next of kin), die auf Basis gesetzlicher Erbfolge („intestate succession“ oder „intestacy rules“) des jeweiligen Bundesstaates einen Anteil am Nachlass erhalten. Heirs gibt es also (nur) dann, wenn der Erblasser entweder kein Testament erstellt hat oder neben einem Testament noch Raum für gesetzliche Erbfolge bleibt. In manchen Bundesstaaten der USA hat der überlebende Ehegatte (spouse) auch eine Art gesetzliches Pflichtteilsrecht (meist „elective share“ genannt), wenn er oder sie enterbt wurde.
„Beneficiaries“ heißen in den USA die wirtschaftlich am Nachlass berechtigten Personen dagegen, wenn sie im Testament ausdrücklich als solche benannt sind, also entweder als „Erben“ oder als „Vermächtnisnehmer“. Aber nochmals: Manche US-Bundesstaaten verwenden wiederum eine etwas andere Fachterminologie. Man muss sich daher bei der Nachlassabwicklung in Staaten, mit denen man bislang noch nichts zu tun hatte, erst einmal in die Probate Rules einlesen, um Missverständnisse in der Korrespondenz mit Anwaltskollegen oder dem Nachlassgericht in USA zu vermeiden.
Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer englischspachigen Prozessabteilung (GermanCivilProcedure) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische und deutsch-amerikanische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und internationale Erbfälle. Falls Sie bei einer anglo-amerikanischen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die Anwälte der Kanzlei Graf & Partner mit ihrem internationalen Netzwerk von US-amerikanischen Anwälten gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England), Telefon +49 (0) 941 – 463 7070.