Basics zum Erbscheinsverfahren Down Under
Die Rechtssysteme der Commonwealth-Mitglieder Australien und Neuseeland (New Zealand) sind vom Common Law geprägt. Das Erbscheinsverfahren (Probate) in Australien (mehr hier) und Neuseeland ist daher dem englischen Verfahren recht ähnlich, wenn auch nicht völlig identisch. Nach unserer Erfahrung sind die Erbscheinsverfahren in Australien erheblich zäher und im Ergebnis auch teurer. Die australischen Nachlassgerichte verlangen erheblich mehr Informationen und Unterlagen, teils auch Informationen, bei denen man beim besten Willen nicht nachvollziehen kann, warum das für das Verfahren in Australien von Bedeutung ist.
Wegen der engen Verbundenheit zwischen diesen Ländern werden in Australien und Neuseeland in der Regel auch englische Nachlasszeugnisse (Grant of Probate bzw. Letter of Administration) anerkannt, wobei trotzdem ein offizielles Bestätigungsverfahren durchlaufen werden muss („Reseal“). Dieses gegenseitige Anerkennung der Erbscheine des anderen Landes gilt für alle „jurisdictions being Her Majesty’s dominions„, ein Sammelbegriff für Länder, der nicht völlig deckungsgleich mit dem Commonwealth of Nations ist, aber eine sehr große Schnittmenge hat. Lange Rede kurzer Sinn, wer einen Grant of Probate oder Letter of Administration aus einem Commonwelath-Land besitzt, hat gute Chancen, in allen anderen Commonwealth-Ländern ein vereinfachtes Erbscheinsverfahren durchlaufen zu können (Resealing of a Foreign Grant).
Wie sieht aber nun ein Erbschein in Australien und in New Zealand aus?
Auch für den Fall, dass man wieder einmal eine eMail mit der frohen Botschaft erhält, dass man von einem entfernten Verwandten aus Übersee geerbt hat (mehr zu diesen Betrufsfällen hier und hier), schadet es nicht zu wissen, wie ein echter Erbschein (genauer Nachlasszeugnis) aussieht. Jedenfalls nicht so: Beispiele für gefälschte Erbschaftsunterlagen
Hier ein Beispiel eines echten (natürlich anonymisierten) Erbscheins bzw. Nachlasszeugnisses (Letters of Administration) aus Australien, genauer gesagt des australischen Bundesstaats Victoria:
Und hier die (natürlich ebenfalls anonymisierte) Kopie eines echten „Letter of Administration“ des neuseeländischen Nachlassgerichts (Deckblatt und Erbschein selbst).
Der Erblasser war in diesem Beispielsfall zwar Deutscher, besaß aber in Neuseeland Geldanlagen und ein kleines Grundstück. Er hinterließ kein Testament (Died Intestate). Deshalb mussten die Erben neben dem deutschen Erbschein auch einen New Zewaland „Letter of Administration“ beantragen. Zum Unterschied zwischen Letter und Administration und Grant of Probate hier; in diesem Beitrag ist zum Vergleich auch ein Beispiel eines englischen Erbscheins verfügbar.
Übrigens: Streng genommen gibt es gar keinen „australischen Erbschein“, weil in Australien die Nachlassgerichte der einzelnen Territories den Erbschein nur für den Geltungsbereich dieses Territory ausstellen. Hatte ein Erblasser also Vermögen in verschiedenen australischen Territories, so muss er sogar innerhalb Australiens den Grant „resealen“ lassen.
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